Black Swan - Silberner Fluch
missbilligend mit der Zunge und zog die Decke über Romans schmaler, eingefallener Brust straff. »Ihr Vater ist vierundachtzig Jahre alt. Nach einem Schock, wie er ihn erlitten hat, können Menschen seines Alters selbst unter besten Voraussetzungen etwas aus der Fassung geraten. Am besten ist, wenn man ihn beruhigt und ihn nicht auch noch aufregt.«
»Ich werde daran denken«, sagte ich. »Aber trotzdem würde ich gern mit dem Arzt über seine Medikamente sprechen.«
»Dr. Monroe ist in seinem Zimmer und spricht mit dem Polizeibeamten. Ich glaube, sie sind alte Freunde aus der Zeit, als der Doktor noch in der Notaufnahme gearbeitet hat. Warum schauen Sie nicht kurz bei ihm vorbei?«
Der Weg, den mir die Schwester zu Dr. Monroes Zimmer beschrieben hatte, machte so viele Ecken und Biegungen, als seien sie extra dazu entworfen worden, die Angehörigen der Kranken und Verletzten von den behandelnden Ärzten fernzuhalten. Beklommenheit breitete sich in mir aus. Detective Kiernan und Dr. Monroe mochten ja »alte Freunde« sein, aber das würde den Arzt vermutlich nicht davon abhalten, dem Polizisten irgendwelche verrückten Dinge mitzuteilen, die Roman geäußert haben mochte. Gott allein wusste, was mein Vater in seinem jetzigen Geisteszustand alles sagen würde. Zwar konnte ich mir immer noch nicht vorstellen, dass er den ganzen Einbruch selbst eingefädelt hatte, aber es war sehr gut möglich, dass er offen erklärt hatte, wie glücklich er darüber war, dass die Gemälde versichert waren. Ich konnte nur hoffen, dass er nicht auch mit seiner Überzeugung hausieren gegangen war, die Diebe seien von Dämonen besessen gewesen.
Als ich mich dem Dienstzimmer näherte, hielt ich vor der Tür kurz inne. Vielleicht konnte ich einen Hinweis darauf erhaschen, was mein Vater gesagt hatte. Der Arzt und der Detective sprachen aber gar nicht über Roman, sie diskutierten über das Spiel der Jets vom Sonntag.
»Das ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird«, sagte Kiernan gerade. »Wenn Favre sich erst einmal richtig an das neue System gewöhnt hat, dann heißt es jeden Sonntag, Feuer frei. Das wird ein Fest.«
»Ich weiß nicht«, widersprach der Doktor. »Favre hat ein Gespür dafür, den Ball im falschen Moment abzufangen.«
»Ich hoffe, ich unterbreche kein medizinisch bedeutsames
Fachgespräch«, sagte ich, als ich den Kopf durch die Tür steckte.
Dr. Monroe, der ungefähr in meinem Alter war, lächelte mich an, während der Detective mich hereinbat.
»Dann sind Sie wohl kein Sportfan, nehme ich an«, bemerkte er.
»Ich mache mir nur Sorgen um meinen Vater«, sagte ich und richtete meinen Blick ausschließlich auf den Arzt. »Er macht einen ganz desorientierten Eindruck. Ist seine Kopfverletzung sehr ernst?«
»Ich sollte wohl besser gehen«, sagte Detective Kiernan und erhob sich, um uns ein Gespräch unter vier Augen zu ermöglichen.
»Sie können gern bleiben«, erwiderte ich. Es war eine fragwürdige Entscheidung, aber ich wollte um jeden Preis den Eindruck vermeiden, dass wir etwas zu verbergen hatten.
»Die Röntgenaufnahme seines Kopfes sieht gut aus«, sagte Dr. Monroe und tippte gegen eines der Röntgenbilder, die vor den Leuchtröhren hinter seinem Schreibtisch hingen. »Die Desorientierung hängt möglicherweise mit dem Morphium zusammen, das er bekommen hat – das ist eine häufig auftretende Nebenwirkung, vor allem bei älteren Patienten. Haben Sie vor diesem Ereignis irgendwelche kognitiven Beeinträchtigungen festgestellt?«
»Nicht die geringsten«, erwiderte ich überzeugt. »Mein Vater löst das Kreuzworträtsel der Sunday Times in zwanzig Minuten und erinnert sich an die Namen aller Kunden und Künstler, die in den letzten vierzig Jahren mit unserer Galerie zu tun hatten.«
»Und haben Sie jemals Anzeichen von Depressionen
oder Selbstmordgedanken festgestellt?« Die Frage kam von Detective Kiernan. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit, aber ich konnte mir nicht vorstellen, worauf er hinauswollte.
»Nein«, antwortete ich. »Mein Vater neigt nicht zu Depressionen. Natürlich hat er getrauert, als meine Mutter vor zehn Jahren starb, aber mein Vater ist ein Überlebenskünstler. Er hat gesehen, wie seine ganze Familie während des Holocausts umgekommen ist.«
»Viele Überlebende des Holocaust leiden an Depressionen …«, begann Dr. Monroe.
»Mein Vater nicht. Er war stets der Überzeugung, es sei seine Pflicht, für jene weiterzuleben, die umgekommen waren. Worum geht es
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