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Black Swan - Silberner Fluch

Titel: Black Swan - Silberner Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Carroll
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Buchstaben waren so winzig, dass ich sie nicht erkennen konnte. Es war, als hätte der Autor dieser Zeilen versucht, seine Botschaft zu verschlüsseln.
    Also ging ich ins Studio, holte die Juwelierlupe aus meiner Tasche, legte das Papier auf den Arbeitstisch auf einen hellen Sonnenfleck und betrachtete es durch das Vergrößerungsglas. Die Worte waren nun größer, ergaben aber keinen Sinn. Kopfschüttelnd hob ich den kleinen Fetzen auf, und im Sonnenlicht wurde das zarte Material geradezu
durchsichtig. Schwarz schwebte die Schrift in der Luft wie ein geflügeltes Wort. Noch immer nicht zu entziffern, aber … einer Eingebung folgend drehte ich das Papier um, und die rätselhafte Schrift verwandelte sich in englische Wörter. Unter der Lupe konnte ich nun zwei Zeilen entziffern, die aus einem Gedicht zu stammen schienen:
    Dann, abgelenkt, der Schwan fliegt plötzlich auf
und schwarzer Flügelschlag beherrscht den Himmelslauf.
    Das Bild, das sie heraufbeschworen, erinnerte auf geradezu unheimliche Weise an meinen Traum, in dem der schwarze Schwan aus dem silbernen See aufgeflogen war. Einen Augenblick war mir, als hörte ich die Flügel wieder schlagen, aber ich schüttelte den Kopf, und das Geräusch verstummte. Nur noch das Klopfen meines eigenen Herzens war zu hören. War es möglich, dass dieser Mann, Will Hughes, der einen nach dem Schwarzen Schwan benannten Hedgefonds verwaltete und unter einem Wappen posierte, das dem auf dem Siegel der Schatulle glich, irgendwie mit demjenigen, der diese Worte verfasst hatte, in Beziehung stand? Wieder schüttelte ich den Kopf, aber dieses Mal, weil ich das seltsame, klaustrophobische Gefühl hatte, die Dinge würden sich um mich zusammenziehen. Es waren zu viele Zufälle … zu viele Verbindungen. Aber dann wiederum … wenn Will Hughes tatsächlich etwas mit diesem Kästchen zu tun hatte, würde er mir vielleicht dabei helfen können, es wiederzufinden.
    Als ich zurück nach unten ging, fühlte ich mich seltsam leicht. Die Sonne schien, meinem Vater würde es bald wieder bessergehen, und ich hatte eine Spur, die mir vielleicht
helfen würde, seine Unschuld zu beweisen. In der Küche sahen mir Jay und Becky jedoch mit schockierten Gesichtern entgegen, und ich fürchtete eine neue Hiobsbotschaft. Es war jedoch nichts Schreckliches passiert, nur etwas sehr Überraschendes.
    »Will Hughes hat vor zehn Minuten angerufen«, begann Jay, wurde aber von Becky, die auf ihrem Stuhl herumrutschte, unterbrochen:
    »Er schickt einen Wagen, der dich um vier Uhr abholt. Du sollst den Ring mitbringen.«
     
    Meine gute Stimmung hielt auch auf dem Weg zum Krankenhaus an. Der Tag war frisch und klar, mild für Mitte Dezember – alle Spuren des übelriechenden Regens und Nebels von gestern Abend waren einem strahlend blauen Himmel gewichen. Die einzigen Überbleibsel des verrückten Wetterphänomens waren die Pfützen dreckigen Wassers, das die Ladenbesitzer von Greenwich von den Bürgersteigen fegten. Ich winkte dem Pärchen zu, das das kleine Teegeschäft Tea & Sympathy führte und sagte ihnen guten Morgen – nur, um ihren britischen Akzent zu hören und mit »Herzchen« angesprochen zu werden. Einer obdachlosen Frau, die im Schneidersitz auf der Bordsteinkante saß und sich angestrengt mit den Dampfwolken unterhielt, die aus einem Kanalschacht drangen, gab ich ein paar Dollar. Sie hob ihr nussbraunes Gesicht zu mir empor, senkte es wieder, spuckte in ihre Hand und winkte mir dann zu. Ich ging zunächst am Krankenhaus an der 7th Avenue vorüber und hielt auf die französische Bäckerei Lafayette zu, wo es einen Apfelstrudel gab, der meinen Vater an den erinnerte, den meine Mutter zu backen pflegte.

    Auf dem Weg kam ich an Tibet Kailash vorüber, einer tibetischen Kleider- und Geschenkboutique, in der ich oft einkaufte. Das Fenster hing voller leuchtender Seidenkleidung, die mich an das Tuch erinnerte, das Obie Smith gestern um den Kopf getragen hatte. Der Laden hatte normalerweise nicht so früh geöffnet, aber als mich der Besitzer vor dem Schaufenster stehen sah, schloss er auf. Es roch herrlich nach Sandelholz und Rosenwasser. Ich suchte einen bunten Seidenschal mit eingewebten Goldund Silberfäden aus und legte ihn auf den Ladentisch.
    »Ich glaube, diesen Duft habe ich hier noch nie gerochen«, sagte ich, als der Besitzer den Schal in lila Papier einschlug und in eine kleine orangefarbene Tüte steckte (ein Grund, weshalb ich hier so gern Mitbringsel erstand, war der, dass sie so

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