Black Swan - Silberner Fluch
Griff um die zerknüllte Decke. »Okay, Dad, das genügt mir. Chuck Chennery ist auf dem Weg hierher und bringt einen Strafrechtspezialisten aus seiner Kanzlei mit. Wir kümmern uns um diese Sache. Du darfst mit niemandem außer mir, Chuck und dem anderen Anwalt darüber reden. Okay?«
Mein Vater streckte den Zeigefinger in die Luft, wie er es immer tat, wenn er auf etwas hinweisen wollte. »Du hast deine Mutter vergessen.«
»Was ist mit ihr?«, fragte ich.
»Ihr kann ich doch auch davon erzählen, oder nicht?«
Ich tätschelte ihm die Hand. Wenigstens hatte er mich nicht gefragt, ob er mit Santé Leone darüber reden durfte. »Sicher, Dad. Du kannst Mom davon erzählen.« Dann strich ich seine Laken glatt und steckte die Zipfel wieder unter der Matratze fest. Meine Hände berührten dabei eine unerwartet raue Stelle auf dem Stoff, als sei hier etwas verschüttet worden. Ein Fleck bunter Farbe war auf dem Laken – limettengrün, korallenrot, sonnengelb und aquamarin. Die Farben, die Santé Leone bevorzugt hatte.
Der Wachtturm
Den Vormittag und auch den größten Teil des Nachmittags verbrachte ich im Krankenhaus. Charles Chennery erschien gegen Mittag in Begleitung eines jungen, geschniegelten Anwalts mit Hugo-Boss-Anzug und auf Hochglanz polierten Schuhen, die auf den Krankenhausfluren quietschten. Sie sprachen eine halbe Stunde lang mit meinem Vater, und dann nahm mich Chuck beiseite und erklärte mir, er würde eine einstweilige Verfügung beantragen, um die Polizei daran zu hindern, meinen Vater zu vernehmen, während er noch Schmerzmittel bekam. Ich fragte ihn nicht, ob mein Vater ihm gegenüber seine Gespräche mit Santé Leone oder mit meiner Mutter erwähnt hatte, aber er klopfte mir auf die Schulter und sagte mir, seine 86-jährige Mutter habe sich, als sie ein künstliches Hüftgelenk bekam, im Krankenhaus lange mit Mamie Eisenhower unterhalten.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, Versicherungsformulare auszufüllen und mir zu überlegen, ob unsere Krankenkasse einen Pflegedienst zahlen würde, wenn mein Vater entlassen wurde. Dann tauchte Zach
Reese mit einer großen Takeaway-Tüte von Sammy’s Noodle Shop auf. »Ich behalte ihn im Auge«, versprach er mir und holte einen Topf mit heißer Suppe hervor. Es freute mich, dass mein Vater Gesellschaft hatte – vor allem weniger ätherische als irgendwelche verblichenen Maler -, aber bevor ich ging, warf ich, als Zach nicht hinsah, noch kurz einen Blick in die Tüten, ob sich auch keine Schnapsflaschen darin verbargen.
Bis ich im Krankenhaus alles erledigt hatte, war es halb drei, so dass mir nur wenig Zeit blieb, mich zu Hause umzuziehen. Für mein Treffen mit Will Hughes wählte ich einen schmal geschnittenen schwarzen Rock, einen burgunderfarbenen Kaschmirpullover, einen Seidenschal und hochhackige Stiefel. Darüber zog ich den alten Jaeger-Regenmantel, den meine Mutter sich vor zwanzig Jahren in London gekauft hatte, und steckte einen Schirm ein. Zwar hatte die Wettervorhersage nichts von Regen gesagt, aber das wollte dieser Tage ja nicht viel heißen.
Allerdings war es draußen trocken, als ich aus der Tür trat und feststellte, dass vor unserem Haus ein Rolls-Royce Silver Cloud auf mich wartete. Als der Fahrer mir den Wagenschlag aufhielt, spürte ich plötzlich das flüchtige Verlangen, mich umzudrehen und wegzulaufen. Ich wusste nichts über Will Hughes. Ich wollte zu ihm, weil er mir vielleicht sagen konnte, wo ich John Dee finden würde, aber was, wenn er mit ihm zusammenarbeitete? Was, wenn er etwas mit dem Raub zu tun hatte? Aber dann wurde mir bewusst, wie albern diese Überlegungen waren. Wieso sollte ein milliardenschwerer Hedgefonds-Manager ein paar Pissarros und eine alte Silberschatulle stehlen wollen?
Ich rutschte auf den Rücksitz und beschwor mich, gelassen zu bleiben.
Der Wagen fuhr in die Jane Street nach Westen hinunter und bog dann nach rechts auf den West Side Highway.
»Fahren wir zu Mr. Hughes’ Büro?«, fragte ich.
»Mr. Hughes arbeitet von zu Hause aus«, antwortete der Fahrer.
»Okay«, sagte ich und merkte, wie wieder die Nervosität in mir hochkroch. »Und wo wohnt Mr. Hughes?«
»Etwas außerhalb«, gab der Fahrer zurück. Er sah in den Rückspiegel. Seine Augen waren zwar dunkel, sahen aber ansonsten völlig normal aus, wie ich erleichtert feststellte.
Mit einem Seufzer lehnte ich mich in die weichen Polster und sah aus dem Fenster zum Hudson, der in der spätnachmittäglichen Sonne glitzerte.
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