Black Swan - Silberner Fluch
dem sich erhitzenden Metall, flogen in hohem Bogen über seinen Kopf, verglühten auf den Glasaugen und leuchteten blutrot auf den nadelspitzen Zähnen. Nebel drang wie Rauch aus dem Maul. Kurz bevor das Kettenglied in zwei Teile zerbrach, blitzte etwas in seinen Augen auf. Es war, als ob das Untier lachte.
Die lange Kette, die seinen Hals gebildet hatte und nun vom Kopf getrennt war, rutschte zu Boden.
Verdammt! Zehn Kilo rostfreier Edelstahl landeten auf meinem Arbeitsstiefel, und ich brüllte auf. Reflexartig machte ich einen Schritt zurück und verfing mich dabei in der Kette. Als ich rücklings hinfiel, folgte mir der Gasbrenner wie eine Schlange über den Tisch. Er wand sich auf dem Boden und spuckte Flammen. Mit einem Ruck befreite ich meinen Fuß aus der Kette und rutschte ein Stück zurück. Auf dem Tisch wandte das Monster seinen Kopf.
Das ist doch nicht möglich , dachte ich in jener dumpfen Ecke meines Verstands, die nicht vor Angst gelähmt war, er hängt doch gar nicht mehr an der Kette . Aber genau so war es. Der Kopf wandte sich mir zu, die Augen glühten, und dann öffnete das Untier sein schreckliches Maul.
Mein Kopf prallte gegen die Sauerstoff- und Acetylenflaschen. Mühsam richtete ich mich ein wenig auf, wandte mich halb um – ich hasste es, diesem Ding den Rücken zuzukehren -, und dann gelang es mir, die beiden Gasflaschen abzudrehen.
Hinter mir zischte etwas. Als ich mich wieder umsah, lag der nun erloschene Brenner nur ein kleines Stück von der Kette entfernt auf dem Boden. Das Rettungsmaul hing über die Tischkante. Durch die Luft rieselten schwarze Ascheflocken, wie sie entstanden, wenn die Acetylenzufuhr zu hoch eingestellt war.
Draußen pulsierte der Nebel gegen das Fenster, als wolle er das Glas zerbrechen, aber dann zog er sich wieder zurück in die Nacht, wie ein verletztes Tier in seine Höhle.
Der heilige Löwe
Als ich am nächsten Morgen erwachte, fühlte ich mich so verkatert, als sei ich um die Häuser gezogen und hätte ein Dutzend Tequila getrunken. Als ich mit müden Schritten in mein Studio stolperte, begrüßte mich der böse Blick von Riesenmaul, der mich von meinem verkohlten Arbeitstisch aus ansah. Was war nur in mich gefahren?
Ja, was war in mich gefahren?
Roman hatte gesagt, die Einbrecher seien von Dämonen besessen gewesen. Letzte Nacht hatte ich mich selbst so gefühlt, als hätten die Dämonen der Verzweiflung und des Selbsthasses von mir Besitz ergriffen, und dann war Riesenmaul lebendig geworden und hatte mich angefallen. Oder zumindest war es mir so vorgekommen. Es hätte auch Einbildung sein können, so wie die Muster auf der kleinen Schatulle eine reine Sinnestäuschung gewesen sein mochten. Vielleicht stimmte etwas nicht mit meinen Augen … oder mit meinem Kopf. Was, wenn ich einen Gehirntumor hatte? Vielleicht sollte ich mich selbst im St. Vincent’s anmelden und ein CT machen lassen? Allerdings fürchtete ich, wenn ich einem Arzt erzählte, was ich
in den letzten Tagen alles gesehen hatte, dann würde es möglicherweise schwierig werden, wieder aus dem Krankenhaus herauszukommen.
In der Hoffnung, das wachsende Gefühl der Verzweiflung mit einer Kanne starken Tees zu vertreiben, ging ich nach unten. In der Küche saß Becky und studierte die New York Times . Sie war so in einen Artikel vertieft, dass ich schon fast direkt vor ihr stand, bevor sie mich bemerkte. Dann aber fuhr sie erschrocken hoch, knüllte die Zeitung zusammen und versuchte, sie hastig auf ihrem Schoß unter den Tisch zu schieben.
»Was ist denn?«, fragte ich. »Habt ihr eine schlechte Kritik bekommen? Was für Dreckskerle. Lass mich mal sehen.«
»Nein, es ist keine Kritik. Wir hatten sogar einen ziemlich guten Abend – es war ein Typ von einer großen Plattenfirma da, und er sagte, dass er zu unserem Konzert heute Abend im Apollo einen Produzenten mitbringen will. Nein, wir haben keine schlechte Kritik bekommen. Echt nicht.«
»Das ist doch toll«, sagte ich und warf Becky einen langen Blick zu. So nervös hatte ich sie nicht mehr erlebt, seit sie die Zugangsprüfung fürs Jurastudium abgelegt hatte, damals, als sie ihrer Mutter zuliebe noch eine Karriere als Anwältin anstrebte.
»Ja … egal, ich habe jedenfalls ein paar Scones in den Ofen geschoben und einen Tee aufgegossen. Du solltest eine Tasse trinken, du siehst schrecklich aus.«
»Danke, Becky. Mach ich.« Als ich die Hand ohne Topfhandschuh zur Ofenklappe ausstreckte, sprang Becky auf, um zu verhindern,
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