Black Swan - Silberner Fluch
hatte.«
Ich brachte es nicht über mich, Fiona zu sagen, dass
besagter Maler schon lange tot war. »Das ist lieb, dass du bei ihm hereingeschaut hast«, sagte ich. »Viel Glück bei dem Konzert heute Abend. Ich wette, der Produzent wird euch einen tollen Vertrag anbieten.«
Jay, der einen Verstärker in den Kofferraum schob, brummte etwas, woraufhin Becky ihm einen Klaps versetzte. Ich beschloss, mich zu verabschieden, bevor ich in einen bandinternen Streit geriet, daher wünschte ich ihnen noch einmal alles Gute und stieg die Treppen zu meinem Atelier hinauf. Nachdem ich die Tasche auf meinem Arbeitstisch abgestellt hatte, glaubte ich ein leises Quieken zu hören, aber als ich mich dann umsah und keinen Grund für ein solches Geräusch entdecken konnte, hielt ich es schließlich für eine Ausgeburt meiner überreizten Fantasie. Dann holte ich die Liebaugenbrosche aus meiner Tasche, legte sie auf die Arbeitsfläche und starrte sie an. Sie blinzelte kein bisschen. Sie bewegte sich überhaupt nicht. Hatte ich mir das im Laden etwa eingebildet?
Die Brosche vorsichtig im Blick behaltend – ich mochte die Vorstellung nicht, dass sie mich vielleicht ausspionierte -, suchte ich in meiner Tasche nach meiner Juwelierslupe … als mich etwas in die Hand biss.
Erschrocken ließ ich die Tasche fallen, und sie explodierte geradezu. Orangefarbene und gelbe Flammen schossen zur Decke hinauf, versengten das über das Oberlicht genagelte Sperrholz und trudelten als Funkenregen auf meinen Arbeitstisch hinab. Der Feuerball landete vor mir, überschlug sich einmal und richtete sich dann auf.
»Lol?«, fragte ich.
Die kleine Fee schnatterte etwas, als sie ihre Flügel schüttelte und sich ein paar Fusseln von den Armen und
Beinen zupfte, aber ich konnte kein Wort verstehen. Sie klang zornig, und deswegen entschuldigte ich mich dafür, dass ich sie erschreckt hatte, dass meine Kuriertasche in einem so schlechtem Zustand war (in Lols feuerrotem Haar hatte sich eine geschmolzene Pfefferminzpastille verklebt) und fragte sie, ob ich irgendetwas für sie tun könnte. Aber ich war mir nicht sicher, ob sie mich verstanden hatte. Die Hände in die schmalen Hüften gestammt, schritt sie meinen Arbeitstisch auf und ab, betrachtete meine Schweißerausrüstung und stöberte in meinen Aufbewahrungsboxen. Als sie jedoch auf die Liebaugenbrosche stieß, blieb sie wie angewurzelt stehen, stieß ein Zischen aus und sprang dann in meinen Schoß.
»Ziemlich furchteinflößend, nicht wahr?«, sagte ich. »Ich weiß auch nicht, wieso ich sie aus Dees Laden mitgenommen habe. Irgendwie dachte ich wohl, sie könnte noch nützlich sein.«
Lol begann zu summen, oder, besser gesagt, zu vibrieren , dann flog sie wieder zum Tisch, schwebte über der Brosche und sah geradewegs in das Auge. Ich war mir nicht sicher, aber ich hatte den Eindruck, es würde sich überrascht weiten. Dann streckte Lol vorsichtig einen spitzen orangefarbenen Finger aus und piekste hinein.
Das Auge blinzelte und füllte sich mit Tränen.
Lol kicherte und stach noch einmal zu.
»Hör auf!«, rief ich und nahm die Brosche an mich. »Wir müssen doch dieses … Ding nicht quälen.« Ich sah das Auge an, das in meiner geöffneten Hand ruhte, und es erwiderte meinen Blick. »Ich glaube, ich lege es besser weg, bis ich mir darüber klargeworden bin, wozu es dienen könnte.«
Ich besaß einige Schmuckkästchen aus Leder, die ich mir in Italien hatte anfertigen lassen und in denen ich meine kostbareren Stücke aufbewahrte, und wählte ein rotes, auf dem in Gold das Cygnet-Warenzeichen aufgedruckt war. Innen war es mit weißem Samt ausgeschlagen. Sorgsam legte ich die Brosche hinein, klappte den Deckel zu und stellte die Schatulle dann in den abschließbaren Metallschrank, in dem ich mein Silber und Gold lagerte. Währenddessen schwirrte Lol neugierig durchs Zimmer und sah sich genau um. Sie betrachtete meine Bücherregale, nieste wegen des Staubs, der sich darauf angesammelt hatte, wühlte auf den Brettern mit dem Metallschrott und kippte eine Tasse mit Nägeln aus.
Ich hielt es für das Beste, sie zu ignorieren. Endlich gönnte ich mir die überfällige Dusche. Als ich wieder ins Atelier kam, konnte ich Lol nirgendwo entdecken, stellte aber fest, dass die Tür zu meinem Schlafzimmer offen stand. Dort fand ich sie zusammengerollt in meiner Pulloverschublade; sie hatte sich ein Nest aus meinem besten Kaschmirpullover gebaut und schnarchte laut.
Das war eine gute Idee, dachte ich,
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