Black Swan - Silberner Fluch
lassen«, sagte mein Vater. »Und da hatte sie vermutlich auch Recht. Sieh dir nur an, in welche Bredouille ich uns jetzt gebracht habe.«
»Wir werden schon zurechtkommen, Dad. Die Polizei hat die Spur eines Mannes gefunden, von dem sie glauben, dass er hinter dem Einbruch steckt. Man hat in seinem Laden ein Stück Leinwand von einem der Pissarros entdeckt. Es wird alles wieder gut werden.«
Ich wollte noch etwas Beruhigendes über meine Mutter hinzufügen – dass er die Frau, mit der er vierzig Jahre verheiratet gewesen war, natürlich gekannt hatte -, aber ich konnte es nicht. Inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, dass ich wusste, wer sie war. Und so saßen wir schweigend da und betrachteten das Gesicht der Frau, die wir beide geliebt hatten und die uns beide nicht in ihre Geheimnisse eingeweiht hatte.
Den größten Teil des Tages verbrachte ich im Krankenhaus, leistete meinem Vater Gesellschaft oder sprach mit seinem Arzt. Dr. Monroe berichtete, dass die Schusswunde gut verheilte, aber dass er sich Sorgen um Romans Blutdruck machte. Auch wollte er meinen Vater von einem psychologischen Gutachter untersuchen lassen, bevor er ihn nach Hause entließ.
»Weil Sie glauben, dass er sich selbst angeschossen hat.«
»Weil ich weiß, dass er sich selbst angeschossen hat«, hielt er mir entgegen.
»Mein Vater hat keine Selbstmordabsichten«, sagte ich. »Er dachte …« Ich beendete den Satz nicht, denn mir wurde bewusst: Wenn ich nun erklärte, dass mein Vater auf sich selbst geschossen hatte, weil er glaubte, nur auf diesem Wege die Dibbuks , die von den Einbrechern Besitz ergriffen hatten, daran hindern zu können, auch in seinen Körper zu fahren, dann würde Monroe erst recht zu der Überzeugung gelangen, mein Vater sei verrückt. Und wenn ich auch noch durchblicken ließ, dass ich durchaus derselben Meinung war wie Roman, dann würde nicht nur er einer psychologischen Untersuchung unterzogen werden. »Er war verwirrt«, erklärte ich schließlich.
»Dann müssen wir auch Alzheimer in Betracht ziehen. Sind Sie damit einverstanden, wenn ich eine Kernspintomographie seines Gehirns veranlasse?«
Ich sagte Ja. Dabei hoffte ich, dass dieser Vorgang meinen Vater nicht zu sehr beunruhigen würde, aber auf gewisse Weise war ich überzeugt, dass er momentan im Krankenhaus am besten aufgehoben war.
Später holte ich für Roman, Zach und mich etwas zu essen von Sammy’s Noodleshop, und dann ging ich wieder nach Hause, um mich noch kurz auszuruhen, damit ich für mein Treffen mit Oberon um ein Uhr nachts wieder einigermaßen wach sein würde. Ich war es nicht gewöhnt, so lange aufzubleiben.
Als ich das Empire State Building erreichte, stellte ich überrascht fest, dass die Leute immer noch Schlange standen, um zur Aussichtsplattform hinaufzufahren. Ich hatte jedoch das Gefühl, dass Oberon und ich es ihnen nicht gleichtun würden. Zumindest hoffte ich das. Wie die meisten New Yorker hatte ich eine Abneigung gegen die
typischen Touristenattraktionen der Stadt. Zwar war ich selbst auch schon auf der Aussichtsplattform gewesen, aber nur, weil Becky mich dazu am Tag unseres Highschool-Abschlusses überredet hatte; sie war der Meinung gewesen, wir müssten diesen Tag mit etwas ganz Besonderem krönen. Ich hielt das für eine blöde Idee, war aber mitgegangen, weil Becky einfach nicht zu bremsen war, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und sie hatte Recht gehabt – es war überwältigend, auf ganz Manhattan herunterzusehen.
»Jetzt steht uns die Welt offen und wartet darauf, dass wir ihre Möglichkeiten am Schopf packen, James«, hatte Becky gesagt, als sie sich gegen den heftigen Wind stemmte. »Wir können nun alles tun, was wir wollen.«
Becky hatte das beherzigt und eine Rockband gegründet, statt den Vorstellungen ihrer Mutter zu genügen und Anwältin zu werden – und nun zahlte sich das aus. Die Band stand kurz davor, einen Vertrag mit einem großen Label abzuschließen. Aber was hatte ich in den acht Jahren geleistet, seit wir die Highschool verlassen hatten? Na schön, ich hatte ein kleines Unternehmen für Schmuckdesign aufgebaut, aber ich hatte weder je allein gelebt noch eine ernstzunehmende Beziehung mit einem Mann geführt, die länger als ein halbes Jahr gedauert hätte. In Wahrheit hatte ich seit dem Autounfall stets versucht, auf Nummer sicher zu gehen.
Gerade wollte ich mich erneut in Selbstmitleid auflösen, da kam Oberon von der Fifth Avenue her auf mich zu. Seine langen
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