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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Wendig
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aufgeritzt hat. Die Mündung der Pistole ist kalt. Sie brennt, als Harriet sie fester in ihr Gesicht drückt. Miriam zuckt zusammen.
    »Bleib doch noch ein bisschen«, sagt Harriet, und in den Augen der Frau sieht Miriam ein wahnsinniges Funkeln.
    »Lassen Sie mich einfach gehen! Ich hab das Zeug nicht. Ich habe mit der Sache nichts zu tun.«
    »Psst.«
    »Ich bin bloß ein Mädchen, nur ein dummes Mädchen, das sich auf einen dummen Jungen eingelassen hat ...«
    Harriet schüttelt den Kopf. »Versuch nicht, an mein Mitgefühl zu appellieren, denn ich kann dir versichern, dass ich keins habe. Und jetzt steh auf. Langsam.« Mit der freien Hand greift Harriet in die Hosentasche und zieht ein dünnes weißes Plastikband heraus: einen Kabelbinder. »Wir gehen jetzt rüber zum Wagen, und du wirst einsteigen, und dann werden wir eine kleine ...«
    Peng, peng : Zwei Pistolenschüsse in rascher Folge von hinter dem Motel. Miriam weiß, dass Ashley nicht tot ist – denn noch ist Ashley kein Achtzigjähriger in einem Pflegeheim, dem ein Fuß fehlt –, und sie weiß, dass sie auch nicht tot ist, denn sie kann immer noch ihr Herz auf ihre Trommelfelle einhämmern hören.
    Beim Geräusch der Schüsse zuckt Harriet zusammen. Eigentlich ist es kaum ein Zucken zu nennen; ihr Blick verengt sich, und ihre Augen huschen hin und her: Der Ausdruck eines Falken, der eine Maus entdeckt hat. Es ist gerade genug Zeit.
    Miriams Hand fährt in die Kuriertasche, findet etwas. Sie reißt die Hand wieder heraus, ein schnelle Drehung des Handgelenks – und das Butterflymesser steckt in Harriets Oberschenkel.
    Die Pistole geht los, aber Miriams Kopf ist nicht mehr da, wo er war.
    Sie grabscht nach einem Brocken abgebrochenem Bordstein. Schlägt ihn Harriet hart auf die Hand.
    Die Pistole bellt noch einmal auf. Miriam hört die Kugel vom Boden neben ihrem Kopf wegjaulen, aber es spielt keine Rolle – die Waffe fliegt aus Harriets Hand und pirouettiert durch die Luft, bis sie ungefähr zehn Fuß weiter weg scheppernd auf dem Parkplatz landet.
    Miriam wartet nicht.
    Sie rennt.
    Ihre Fluchtstelzen tragen sie vorwärts, obwohl ihr schwindlig und übel ist und sie sich in die Enge getrieben fühlt. Sie lässt alles hinter sich: Harriet, die Pistole, das Messer im Bein der Frau und ihre Kuriertasche. Scheiße , denkt sie, meine Tasche! Ich brauche meine Tasche. Da ist das Tagebuch drin; da ist der Rest meines Lebens drin. Dreh um, dreh um und ...
    Zwei weitere Schüsse. Harriet hat sich ihre Pistole schon wiedergeholt. Miriam spürt, wie eine der Kugeln an ihrem Kopf vorbeifliegt, einen Hauch von ihrer Wange entfernt. Sie kann nicht stehen bleiben. Wenn sie stehen bleibt, stirbt sie. Sie erreicht das Ende des L-förmigen Motels, das letzte Zimmer, biegt um die Ecke und sieht nur zehn Fuß weiter weg den Wald.
    Noch ein Schuss. Als sie sich unter die ersten Bäume duckt, knallt dicht neben ihrem Kopf eine Kugel in eine Eiche, dass der Baum Splitter hustet.
    Miriam kracht durchs Unterholz.
    Im Wald ist alles Schemen und Schatten. Was sie an Mondlicht hatte, ist weg. Ein Wirrwarr dunkler Linien, die Peitschenhiebe beißender Äste – sie bricht durch Dorn und Dickicht wie ein panisches Reh, rennt vorwärts, fällt fast vornüber, als ihre fliehenden Füße sie einholen.
    Sie rennt – sie weiß nicht, wie lange.
    Sie denkt: Ich bin in Sicherheit, es ist okay, hör auf zu laufen, atme durch, verstecke dich in den Schatten ...
    Aber noch ein anderer Gedanke erreicht sie: Du bist nie in Sicherheit. Lauf, du dummes Mädchen, lauf!
    Das ist der Moment, wo etwas sie im Gesicht trifft.
    Ihre Füße rutschen unter ihr weg, und alles dreht sich und wird komplett dunkel.

    Schritte. Knirschendes Unterholz. Brechende Zweige.
    Miriams Augen schnellen auf.
    Es ist immer noch dunkel. Sie betastet ihren Kopf – das Blut daran verkrustet schon. Sie sieht einen dunklen Umriss über sich, eine schwarze Linie, die vom Mondlicht rundherum erhellt wird.
    Ich bin gegen einen Ast gerannt , denkt sie, noch immer benommen.
    Und jetzt?
    Jemand ist da draußen. Sie hört die Schritte und das Atmen.
    Dann hört es auf.
    Eine Brise wispert durch die nächtlichen Bäume; Blätter rascheln an anderen Blättern. Sonst ist alles still.
    Plötzlich Bewegung. Schritte, die laufen und durch das Unterholz brechen – auf sie zu.
    Miriam rappelt sich mühsam auf, bekommt einen Ast zu fassen und schwingt sich nach vorn, und jetzt ist sie auf den Beinen und läuft ebenfalls. Ihr

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