Blackhearts: Roman (German Edition)
nickt Eleanor ihm zu, und er erstarrt.
»Ist schon gut, Beckett. Miriam weiß sehr wohl, dass das Messer ihr nicht viel nützen wird. Es dient nur zur Show.«
Scheiße! Woher weiß sie das?
Wie kann sie das wissen?
Miriam streckt das Messer langsam nach vorn, die Klinge zuerst. Sie beobachtet, wie Beck sie beobachtet – ein Falke auf einem Telefonmast, der eine Maus beim Überqueren der Straße fixiert. Doch sie ist sich nicht sicher, wer hier wer ist – wer von uns ist der Falke, wer von uns die Maus?
Sie sieht Eleanor lächeln. Es wäre nicht sehr schwer, ihr dieses Messer in den Hals zu stoßen. Aber was dann? Beck ist das größere Problem.
Außerdem bietet sich hier eine Gelegenheit für Miriam.
Sie lässt das Messer nicht einfach in Eleanors Hand fallen – sie legt es hinein.
Handfläche berührt Handfläche, Fingerspitzen berühren Fingerspitzen, Haut auf Haut, und dann –
Dunkelheit, heulende Dunkelheit, kaltes Wasser, Schlamm, Schlick und Schreie. Zerberstendes Glas und ein Rauschen, wie bei einem Radio, das auf einen toten Sender gestellt wurde. Schwache Geräusche in einer tristen Leere, als würde man im Herzen eines Tornados schlafen oder n achts auf den Grund eines brausenden Flusses sinken. Alles ist nichts und nichts ist alles –
Miriam schnappt nach Luft, versucht zu atmen, kann es aber nicht. Ihr Hals fühlt sich wie zugeschnürt an, ihre Lungen plattgewalzt. Tränen treten ihr in die Augenwinkel.
»Ja, das dachte ich mir«, sagt Eleanor. Ruhig. Kühl. Als ob das zu erwarten gewesen wäre. »Lassen Sie sich einen Moment Zeit.«
Und dann, sie hat recht – dauert es nur einen Moment. Miriams Lunge bläht sich auf wie ein Ballon am Stutzen eines Sauerstofftanks. Ein mächtiger, pumpender Atemzug – kalt und hell und kraftvoll – tritt in ihren Körper ein.
»Was haben Sie gesehen?«, fragt Eleanor, aufrichtig neugierig. Sie beugt sich in ihrem Sessel nach vorn, wie man es mitunter macht, wenn man sich einen gruseligen Film anschaut.
»Ich sah …« Miriam erwägt, zu lügen. Denkt, erzähl ihr, sie stirbt durch deine Hand, wird entzweigehackt von einer Feueraxt und in einen Häcksler geworfen. Aber es kommt die Wahrheit heraus. »Ich sah nichts. Ich hörte Geräusche, schreckliche Geräusche. Aber ich sah absolut nichts.«
»Das beunruhigt Sie, stimmt’s? Sie sind es gewohnt, Dinge zu sehen. Dinge, die weit außerhalb des Wahrnehmungsvermögens anderer liegen.«
»Sie kennen mich nicht.«
»Oh doch, das tue ich. Ich habe ebenfalls diese Gabe.«
»Es ist keine Gabe.«
»Oh doch, das ist es. Manchmal muss man etwas zuerst kaputt machen, um es zu reparieren. Macht und Weisheit entspringen Gewalteinwirkung und dann – aber ich greife vor! Gehen Sie ein Stück mit mir und meinem Sohn. Dann erzähle ich Ihnen den Rest.«
ZWEIUNDFÜNFZIG
Zum Gewächshaus
Während sie durchs Haus gehen, läuft Eleanor neben Miriam her. Die Frau hat die Aura einer prächtigen Schlossherrin – sie scheint dahinzugleiten, wie ein Schwan auf einem friedlichen See, sich sowohl ihrer Schönheit als auch ihrer Autorität bewusst. Nicht zu vergleichen mit der Schulschwester, die Miriam in der Schule getroffen hatte. Dort wirkte sie klein, unterwürfig, bloß ein Teil des Ganzen.
Aber dies ist ihr Heim. Ihre Regeln, ihre Familie.
Beck folgt ihnen. Miriam kann seinen Blick auf ihren Schulterblättern spüren, sengend wie zwei Zigarettenbrandwunden. Sie weiß, bei der geringsten unbedachten Bewegung wird er da sein.
Miriam verschwendet nicht länger Zeit. »Sie sind also medial veranlagt.«
»Ja, so wie Sie.«
»Nicht so wie ich.« Miriam kaut auf den Innenseiten ihrer Wangen herum. »Wie kam es bei Ihnen dazu?«
Sie stehen nun am oberen Ende einer Treppe, die sich nach unten in die Eingangshalle windet. Während in der Caldecott-Schule alles viktorianisch gehalten ist, herrscht in diesem Haus eine ausgeprägte Retro-Atmosphäre. Der Stil der Jahrhundertmitte in vollem Umfang.
Lauter klare Linien und gerundete Ecken. Jede Menge Fenster, durch deren regenbeschlagene Scheiben graues Licht hereinströmt. Sparsame Arrangements aus Farnen und Orchideen befinden sich neben der Hausbar in der Eingangshalle, neben den beiden altmodischen Polstersesseln, neben der Tür und in den Ecken.
»Etwas blieb bei mir zurück in jener Nacht, als Carl und ich in der Abstellkammer zueinanderfanden«, sagt Eleanor.
Z ueinanderfanden , denkt Miriam. Was für eine vornehme Untertreibung.
»In jener Nacht
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