Blackmail: Thriller (German Edition)
gekleidet, genau wie am Abend zuvor. Die zerschossenen Glastüren waren bereits ausgebaut und durch dicke Plastikfolien ersetzt worden, und überall arbeiteten Handwerker an der Beseitigung der durch die Schießerei entstandenen Schäden. Im Aufzug stellte Lucien mir morbide Fragen über den Verlauf der Schießerei. Die einzige Antwort, die ich ihm gab, war Sonny Cross’ Laptop.
Während Lucien an der Entschlüsselung von Sonnys Datei arbeitet, setze ich mich an den Wohnzimmertisch und entwerfe einen Brief für die »Top-of-the-Morning«-Kolumne des Natchez Examiner, eine Rubrik, die normalerweise Kommentaren über die lokale politische Szene oder Berichten über Gemeindeereignisse vorbehalten ist. Der Zweck meines Briefes ist die öffentliche Ankündigung meiner Absicht, bei der vorgezogenen Neuwahl des Bürgermeisters zu kandidieren. Ich bin nicht sicher, wie die Gemeinde darauf reagieren wird, doch ich kenne zumindest zwei Leute, die von meiner Entscheidung stark betroffen sind. Shad Johnson wird außer sich sein vor Wut, und QuentinAvery wird ekstatisch sein, weil Shad auf diese Weise von der bevorstehenden Verhandlung gegen Drew abgelenkt wird.
Doch es gibt noch eine dritte Person, und sie wird noch tiefer betroffen sein. Sobald ich meinen Brief in den Redaktionsräumen des Examiner abgeliefert habe, weiß Caitlin, dass ich mich entschieden habe. Was danach geschieht, vermag ich nicht zu sagen. Doch ich habe noch ein paar wichtigere Dinge zu erledigen, bevor ich den Brief abgebe – Dinge, die Lucien Morse zwanzig Minuten zuvor überhaupt erst ermöglicht hat.
Ich halte einen Ausdruck der verschlüsselten Datei von Sonnys Laptop in den Händen: den Schlüssel zur Identität von Sonnys Spitzeln. Zusammen mit ihren Namen hat Sonny auch die Adressen und Telefonnummern jedes einzelnen Informanten aufgeschrieben, außerdem Einzelheiten der von ihnen begangenen Straftaten – im Wesentlichen das Schwert, das er über ihren Köpfen hat baumeln lassen.
Ich versuche, mir nicht allzu große Hoffnungen zu machen, als ich den Hörer vom Hoteltelefon abnehme und eine der beiden Nummern wähle, die bei dem Kodenamen »Ethan« vermerkt steht, einem Drogenkurier, dessen richtiger Name Jaderious Huntley lautet. »Jaderious« ist, wie ich mich erinnere, auch der Name der Person, die das Foto von Cyrus und Kate geschossen hat, das auf Kates verschlüsselter Flashkarte gespeichert ist. Die Vorwahl, 597, verrät mir, dass es eine Mobilfunknummer in Natchez ist. Nach fünfmaligem Läuten meldet sich die vertraute Mailbox-Stimme von Cingular Wireless. Ich lege auf, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben, und versuche die nächste Nummer neben Huntleys Namen.
Diese Nummer sieht aus wie ein Festnetzanschluss. Nach siebenmaligem Läuten meldet sich eine junge männliche Stimme. »Jaderious?«
»Hallo, Ethan.«
Mehrmaliges Ächzen, dann ist die Leitung tot.
Ich wähle die Nummer erneut.
Keine Antwort.
Ich wähle ein weiteres Mal und lasse es zwanzig Mal läuten. Keine Antwort. Ich kann mir gut vorstellen, wie ein junger Schwarzer voller Entsetzen auf sein läutendes Telefon starrt und sich fragt, ob er unter Halluzinationen leidet. Ich zweifle nicht eine Sekunde daran, dass der einzige Mensch auf der Welt, der die wirkliche Identität von »Ethan« kannte, Sonny Cross war. Und jeder weiß, dass Sonny Cross tot ist.
Bei meinem achten Versuch nimmt jemand den Hörer ab, doch er meldet sich nicht.
»Hier ist Sonny Cross«, sage ich mit ruhiger Stimme.
Das Schweigen dehnt sich unendlich.
»Du kannst ruhig den Mund aufmachen, Ethan. Ich gehe nicht weg.«
»Sonny ist tot.«
»Stimmt. Aber ich bin nicht tot.«
»Wer bist du?«
»Ein Freund von Sonny.«
»Oh Mann, erzähl mir nicht so eine Scheiße! Das muss mal vorbei sein!«
»Es ist nicht vorbei, Jaderious. Aber es kann vorbei sein. Ich brauche nur eine Information von dir. Nur eine einzige. Danach verbrenne ich deine Akte. Es wird so sein, als hättest du Sonny nie gekannt.«
»Komm mir nicht mit diesem Scheiß, Mann. Ihr Typen hört nie auf. Ihr glaubt wahrscheinlich, ich bin euer Sklave oder was.«
»Du hast dich selbst in diese Lage gebracht, Ethan. Nicht ich.«
»Sag diesen Namen nicht, Mann. Sag mir einfach nur, was du willst.«
»Ich möchte dich treffen. Von Angesicht zu Angesicht.«
»Scheiße, Mann, ganz bestimmt nicht! In den Straßen ist die Hölle los, und diese verdammte Spezialeinheit sitzt allen im Nacken. Alle sind total nervös. Ich kann mich
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