Blackmail: Thriller (German Edition)

spürst selbst keinerlei Neigung. Und dann machst du diese Erfahrung selbst.
    Und die Erde gerät aus den Angeln.
    Wahrscheinlich trug es mit zu meinem falschen Verständnis von Heroin bei, dass ich in meiner Zeit am College andere Drogen ausprobiert habe. Marihuana nahm die Nervosität und machte mich abgeklärt und heiter. Kokainpulver – die drei Male, die ich es ausprobiert habe – sandte mich in ein euphorisches Hoch. Doch Heroin schließt den Schmerz direkt am Ort seiner Entstehung kurz. Es tauchte mich in eine archaische Glückseligkeit, die tatsächlich dem Mutterleib am nächsten kommen muss. Ich lag halb komatös auf dem Boden des Labors, Stunde um Stunde, während ich zu begreifen versuchte, was sich in meinem Kleinhirn und Rückenmark abspielte.
    Es wollte mir nicht gelingen.
    Schließlich wurde mir bewusst, dass in der Tat Zeit verging. Drews Verhandlung hatte angefangen. Cyrus zeigte mir Ausgaben vom Examiner. Die Titelseiten zeigten Fotos von Shad, Drew, Quentin, sogar von mir. Doch es war alles weit, weit weg, so weit, als ereignete es sich auf der anderen Seite der Welt. Ich wusste, dass ich ankämpfen musste gegen das, was mit mir geschah, doch wie konnte ich das? Blue wog einen Zentner mehr als ich, und Cyrus trug ständig eine Pistole bei sich. Er trug sie sogar, wenn er in seinem Sessel lag und dvds ansah.
    Er sah seine Filme auf dem kleinen Sony-Fernseher auf dem Tresen an der Wand. Die Filme liefen selbst dann, wenn er sie nicht sah. Sein Geschmack überraschte mich. Er sah eine Menge Science-Fiction: die Originalversionen von Das Ding aus einer anderen Welt und Planet der Affen oder Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum. Er sah Verschwörungsfilme aus den Siebzigern: Copollas Der Dialog oder Pakulas Zeuge einerVerschwörung. Und Kriegsfilme: Die Brücke am Kwai oder Gesprengte Ketten. Am meisten überraschte mich die Tatsache, dass Cyrus Western sah, jede Menge Western. Er schien die Filme nach den Schauspielern auszuwählen: Steve McQueen, Robert Mitchum, Henry Fonda. Und er sah Der Pate – wieder und immer wieder. Ich vermutete, dass er seinen cineastischen Geschmack während seiner Zeit beim Militär und im Golfkrieg entwickelt hatte.
    Die meiste Zeit ignorierte Cyrus mich völlig, doch hin und wieder redete er mit mir über die Filme. Er war überrascht und erfreut zu erfahren, dass Die Brücke am Kwai und Planet der Affen vom gleichen Autor geschrieben worden waren. Ich sagte, dass er ziemlich jung schien, um ein Fan so alter Filme zu sein, und er lachte. »Mama hatte einen Freund«, sagte er. »Der Typ tat nichts anderes als alte Filme im Kabelfernsehen ansehen. Er hat nie gearbeitet, Mann. Er hatte einen Job als Vertreter für einen Kerl, der Wettscheine verkaufte, aber das war alles. Er saß einfach nur da, sah Filme und trank. Ich saß den ganzen Tag bei ihm, aß Fischstäbchen und zog mir ebenfalls die Filme rein. Ich hab mich dran gewöhnt. Wie Meditation, weißt du? Deswegen lass ich sie die ganze Zeit laufen. Genauso, wie die meisten Leute Musik laufen lassen. Filme sind meine Droge, Mann.«
    Einmal zeigte er mir einen Zeitungsartikel mit einem Bild meines Vaters. Er sagte, Dad hätte Experten angestellt, die nach mir suchen sollten. Ich fragte, ob ich den Artikel lesen dürfte, doch Cyrus nahm mir die Zeitung wieder weg.
    »Bleib einfach nur cool, Mann«, sagte er. »Es dauert nicht mehr lange, bis die Jury den Doc verurteilt hat, und dann darfst du wieder nach Hause zu deiner Kleinen.«
    Ich starrte in seine Augen und suchte nach Arglist darin.
    Cyrus grinste. »Es gibt ein paar Leute auf deiner Seite, von denen du keine Ahnung hast.«
    »Was soll das bedeuten?«
    »Sagen wir, es geht das Gerücht, ich könnte dich in meinerGewalt haben. Und ich höre Dinge, beispielsweise, dass ich ja darauf achten soll, dass dir nichts passiert. Die Witwe von Del Payton macht ’ne Menge Lärm.«
    Althea Payton ist die Witwe des schwarzen Fabrikarbeiters, dessen Ermordung ich vor fünf Jahren aufgeklärt und an die Öffentlichkeit gebracht habe. In der Matrix der Gesellschaft von Natchez ist sie das Äquivalent von Coretta Scott King, der Witwe von Martin Luther.
    »Dann gibt es da den Prediger von der Mandamus Baptist«, fuhr Cyrus fort. »Wo deine Kinderfrau zur Kirche gegangen ist. Quentin Avery hat auch noch etwas dazu gesagt. Und natürlich all die Patienten von deinem Daddy, und mir scheint, das ist fast die Hälfte aller Schwarzen in dieser Stadt.«
    Diese Worte machten mir tatsächlich