Blackmail: Thriller (German Edition)
zurück.
»Wo ist Annie?«
»Im Bett.«
»Gut. Möchtest du mir vielleicht jetzt erzählen, was du weißt?«
Sie wischt sich die Augen und die Nase. »Meine Augen sind geschwollen. Das passiert immer, wenn ich weine. Ich seh total scheiße aus.«
»Kein Problem. Erzähl mir nur, was passiert ist.«
Sie löst sich von mir, setzt sich auf die oberste Stufe und umschlingt die Knie. »Gegen sieben Uhr heute Abend hat Chris mit Jimmy Wingate gewettet, dass er ihn beim Schwimmen durch den See schlagen kann. Beim Schwimmen, okay? So kalt, wie es nachts ist, und an der breiten Stelle. Jimmy wollte nicht, aber Chris war total high und hat Jimmy immer wieder ein Weichei genannt. Ich kann es mir gut vorstellen. Chris ist manchmal ein richtiger Blödmann. Also haben sie es getan. Keine Rettungswesten, pechschwarze Nacht. Sie waren ungefähr halb über den See, als Chris in Schwierigkeiten kam. Er hörte einfach auf zu schwimmen und versuchte sich treibend über Wasser zu halten. Er sagte zu Jimmy, er würde den Mond beobachten, und der Mond würde jede Sekunde die Farben wechseln.«
Sie haben drei Tabs Acid in den letzten zwölf Stunden eingeworfen, hat Sonny erzählt.
»Jimmy hat versucht, ihn zum Weiterschwimmen zu bewegen«, fährt Mia fort, »doch es war, als würde Chris ihn überhaupt nicht hören. Jimmy trat Wasser, und er wusste, dass er nicht lange durchhalten würde. Als er Chris endlich dazu gebracht hatte, wieder zu schwimmen, musste Chris sich übergeben. Danach konnte er sich nicht mehr über Wasser halten. Jimmy war nicht sicher, welches Ufer näher lag, deswegen versuchte er, Chris zum Pier zurückzuschleppen, wo sie ins Wasser gestiegen waren. Er schaffte keine vierzig Meter, bevor er völlig erschöpft war.« Mia schaukelt nun vor und zurück, vor und zurück, während sie leise weiterspricht. »Er musste Chris loslassen und hat sich mit letzter Kraft ans Ufer gerettet. Er hat geweint wie ein kleines Kind, als er mir das alles erzählt hat.«
»Die Dinge laufen völlig aus dem Ruder«, murmele ich.
»War ich dir eine Hilfe?«, fragt Mia.
»Wie?«
»Wegen Shad Johnson? Habe ich Dr. Elliott geholfen, weil ich dir gesagt habe, dass ich Shad Johnson und den Richter zusammen gesehen habe?«
Ich strecke die Hand aus und drücke ihre Schulter. »Du warst eine große Hilfe. Ich weiß es wirklich zu schätzen, Mia.«
»Kannst du mir erzählen, was sie gemacht haben?«
»Ich wünschte, ich könnte es, aber …«
»Du vertraust mir nicht.«
»Das ist es nicht, Mia. Es ist …«
Sie blickt auf, sichtlich verletzt. »Wenn du mir wirklich vertrauen würdest, dann würdest du es mir erzählen.«
Ich setze mich neben sie auf die Stufen. »Bei Drew geht es um mehr als ein Verbrechen, okay? Es ist eine politische Angelegenheit. Der Bezirksstaatsanwalt will, dass Drew verurteilt wird, um zu beweisen, dass ein reicher Weißer in dieser Stadt nicht besser behandelt wird als ein armer Schwarzer.«
»Das hört sich doch gar nicht schlecht an.«
»Wenn das der wirkliche Grund für seine Bemühungen wäre, hättest du recht. Aber so ist er nicht. Shad Johnson möchte sich zum Bürgermeister wählen lassen. Wenn er diese Stadt wirklich wieder zum Leben erwecken wollte, würde ich ihn sofort unterstützen. Aber das will er gar nicht. Der Fall ist für ihn nur eine Trittstufe zu einem höheren Amt. Shad sucht persönliche Macht. Und er ist bereit, Drew für seine Zwecke zu opfern.«
Mia dreht sich zu mir und lächelt durch ihre Tränen hindurch. »Das war doch gar nicht so schwierig, oder?«
»Nein.«
Sie hebt einen Zeigefinger und tut, als verschlösse sie die Lippen. »Es bleibt ein Geheimnis.«
»Seinfeld?«
Sie lacht auf. Dann weint sie wieder.
»Hast du Chris Vogel gut gekannt?«, frage ich.
»Seit dem Kindergarten.«
Das überrascht mich nicht. Ich bin mit vier Jahren auf die St. Stephen’s gegangen. Vierzehn Jahre später habe ich meinen Abschluss hauptsächlich mit Leuten zusammen gemacht, mit denen ich schon im Kindergarten gespielt hatte. Ich kannte sie so gut wie meine eigene Familie, und viele von ihnen kenne ich noch heute. Das ist eines der Dinge, die das Leben in Natchez lebenswert machen und weswegen diese Stadt gerettet werden muss. Ein paar der größten Vorzüge des American Way of Life, die woanders längst verschwunden sind, haben in Natchez die Zeit überdauert.
»Ich will immer noch helfen«, sagt Mia. »Ich meine es ernst. Selbst wenn du glaubst, es wäre zu gefährlich. Die Schule
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