Blackout
Augen zusammenkniff, war ich für sie nicht mehr als ein verschwommenes Gebilde. Ich versuchte, wie ein vertrauenswürdiges Gebilde auszusehen. Sie steckte sich zwei Stücke Käse in den Mund und mahlte sie mit ihren ausladenden Kiefern zu Brei.
»Ich weiß nicht, ob irgend etwas davon für Ihre Story geeignet ist«, sagte sie. »Vor allem, wenn Sie hinter Knüllern her sind.« Ich zwang mich zu einem Lachen.
»Jetzt haben Sie mein Interesse geweckt-jetzt dürfen Sie mich nicht hängenlassen.«
Sie lächelte. »Als Journalistin zum Kollegen?«
»Ja. Als Schriftstellerin zum Schriftsteller.«
»Ach.« Sie seufzte. »Es ist nichts Großes.« Und dann erzählte sie mir, während sie sich immer wieder zwischendurch den Mund voll Käse stopfte: »Jedenfalls zunächst nicht. Das Jedson College ist nicht daran interessiert, Außenseiter anzulocken, Ende. Es ist ein College, aber nur dem Namen und dem Rang nach. In Wirklichkeit ist es eine Bewahranstalt. Ein Ort für die privilegierten Klassen, wo sie ihre Kinder vier Jahre lang hinstecken können, bis die Jungen in Daddys Geschäft eintreten und die Mädchen die Jungen heiraten und Hausfrauen werden oder der Junior League beitreten. Die Jungen befassen sich vorwiegend mit Volks- und Betriebswirtschaft, die Mädchen mit Kunstgeschichte und Haushaltskunde. Die Kavaliersdrei ist die angestrebte Note. Wenn man zu klug ist, wird man argwöhnisch angesehen. Einige von den besonders Schlaueren studieren Jura oder Medizin. Aber wenn sie damit fertig sind, kehren sie wie die übrigen in den Schoß der Familie zurück.« Es klang bitter, ein Mauerblümchen, das seinen letzten Abschlußball beschreibt.
»Das jährliche Durchschnittseinkommen der Familien, die ihre Kinder hierherschicken, liegt weit über hunderttausend Dollar im Jahr. Bedenken Sie, Alex: Hier ist jeder reich. Haben Sie den Hafen gesehen?« Ich nickte.
»Diese schwimmenden Spielzeuge gehören Studenten.« Sie hielt inne, als könne sie es selbst nicht glauben. »Der Parkplatz erinnert an den Grand Prix von Monte Carlo. Die Jugend trägt hier Wildleder und Kaschmir zum Herumtollen.« Eine ihrer rauhen, großen Hände fand die andere und streichelte sie. Sie schaute in dem kleinen Raum von Wand zu Wand, als suche sie nach Abhörmikrophonen. Ich fragte mich, warum sie so nervös war. Also schön, Jedson war ein College für die Kinder der Reichen. Auch Standford hatte so begonnen und hätte wohl auch so geendet, wenn nicht jemand herausgefunden hätte, daß man akademische Inzucht betreibt, falls man nicht auch kluge Juden und Asiaten und andere Menschen mit komischen Namen und hohem IQ zum Studium zuläßt. »Es ist kein Verbrechen, wenn man reich ist«, gab ich zu bedenken.
»Das ist es ja nicht nur. Es ist die extreme Geistlosigkeit, die damit verbunden ist. Ich war in den sechziger Jahren am Madison College. Dort gab es ein Gespür für soziales Bewußtsein. Aktivismus. Wir haben hart gearbeitet, um den Krieg in der Welt zu beenden. Jetzt gibt es die Anti-Atom-Bewegungen. Die Universitäten könnten Treibhäuser für das Gewissen sein. Aber hier wächst nichts und kann nichts wachsen.« Ich stellte sie mir vor, damals, vor fünfzehn Jahren, in Khakihose und Sweatshirt, wie sie marschierte und Slogans brüllte.
Ihr Radikalismus hatte einen aussichtslosen Kampf mit dem Bedürfnis des Überlebens geführt, aber sie konnte sich wenigstens manchmal noch daran erinnern, mit nostalgischen Gefühlen …
»Es ist besonders hart für das Lehrpersonal«, sagte sie gerade. »Nicht für die alte Garde. Aber für die jungen Türken - sie nennen sich tatsächlich so. Sie kommen hierher wegen des Mangels an guten Arbeitsplätzen, kommen mit all ihrem akademischen Idealismus, den liberalen Ansichten - und bleiben zwei, höchstens drei Jahre hier. Es ist intellektuelle Verblödung, was hier betrieben wird - ganz zu schweigen von der Frustration, die einen überfällt, wenn man fünfzehntausend Dollar im Jahr verdient und sieht, daß allein die Garderobe der weniger reichen Studenten mehr als das kostet.«
»Es hört sich so an, als hätten Sie dieses Wissen aus erster Hand.«
»Das ist richtig. Da war einmal - ein Mann. Ein guter Freund von mir. Er kam hierher, um Philosophie zu lehren. Er war brillant, ein Absolvent von Princeton und ein echter Gelehrter. Ich habe seine Worte gefressen. Er hat mit mir darüber gesprochen, hat mir geschildert, wie man sich fühlt, wenn man vor einer Klasse steht und über Kierkegaard und
Weitere Kostenlose Bücher