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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Sartre liest und dreißig blaue Augenpaare sieht, die einen dabei leer und blöde anstarren. Übermensch Ü, hat er es genannt. Er hat im letzten Jahr gekündigt.«
    Sie schaute gequält drein. Ich wechselte das Thema.
    »Sie haben von der alten Garde gesprochen. Was sind das für Leute?«
    »Jedson-Absolventen, die sich überraschenderweise nicht nur dafür interessieren, wie man möglichst viel Geld macht. Sie versuchen, verschiedene Grade in fortgeschrittenem Humanismus zu erwerben und studieren etwas so Nutzloses wie Geschichte oder Soziologie oder Literatur - und dann kommen sie hierher zurückgekrochen, um zu lehren. Jedson sorgt für die Seinen.«
    »Ich nehme an, daß es ihnen leichter fällt, mit den Studenten in Kontakt zu kommen, da sie aus dem gleichen Milieu stammen.«
    »Das muß es wohl sein, denn sie bleiben. Die meisten sind älter - in der letzten Zeit hatten wir nicht besonders viele, die zurückgekommen sind. Die alte Garde schrumpft. Manche sind wirklich nett und anständig. Ich habe oft das Gefühl, als ob sie immer schon schwarze Schafe gewesen wären. Die gibt es auch in den Kasten der Privilegierten, vermute ich.« Der Ausdruck auf ihrem Gesicht sprach von ihrer Erfahrung mit sozialer Zurückweisung. Und sie merkte wohl, daß sie in Gefahr geriet, die Grenze zwischen gesellschaftskritischem Kommentar und Seelenstriptease zu überschreiten, denn jetzt machte sie einen Rückzieher, setzte sich die Brille wieder auf und lächelte säuerlich.
    »Na, was sagen Sie zu dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit?«
    »Für jemanden, der neu ist, kennen Sie sich erstaunlich gut hier aus.«
    »Einiges davon habe ich selbst beobachtet. Anderes habe ich von anderen erfahren.«
    »Von Ihrem Freund, dem Gelehrten?«
    »Ja.« Sie bückte sich und hob eine übergroße Handtasche aus einer Lederimitation auf. Sie brauchte nicht lange, um zu finden, wonach sie suchte.
    »Das ist Lee«, sagte sie und reichte mir ein Photo, das sie selbst und einen Mann zeigte, der mindestens eine Handbreit kleiner war als sie. Der Mann hatte eine Halbglatze mit schwarzem, lockigem Haar, das vorwiegend über den Ohren buschig wuchs, einen dichten, dunklen Schnurrbart und eine runde, randlose Brille. Er trug ein ausgebleichtes, blaues Arbeitshemd, Jeans und hohe, geschnürte Wanderstiefel. Margaret Dopplemeier hatte einen Serape an, der ihre Größe noch unterstrich, dazu eine ausgebeulte Kordhose und flache Sandalen. Sie hatte ihren Arm um den Mann gelegt und schaute ihn gleichzeitig mütterlich und kindlich-abhängig an. »Er ist jetzt in New Mexico und arbeitet an seinem Buch. In der Einsamkeit, sagt er.«
    Ich gab ihr das Photo zurück. »Autoren brauchen das nicht selten.«
    »Ja. Wir haben uns oft und oft darüber unterhalten.« Sie stellte ihren Beutel zurück auf den Boden, machte eine Bewegung in Richtung auf den Käse, zog dann aber die Hand zurück, als ob sie plötzlich den Appetit verloren hätte.
    Ich ließ einen Moment des Schweigens vergehen, dann versuchte ich einen geistigen Querpaß, um von ihrer Lebensgeschichte wegzukommen.
    »Was Sie erzählen, ist faszinierend, Margaret. Jedson hat also alle die Studenten, die es braucht - es ist ein System, das sich immer wieder selbst fortsetzt.«
    Das Wort ›System‹ kann ein psychologischer Katalysator sein für alle, die mit der Linken flirten. Es brachte auch Margaret wieder in Schwung.
    »Absolut. Der Prozentsatz der Studenten, deren Eltern ebenfalls Absolventen von Jedson sind, liegt unglaublich hoch. Ich wette, die zweitausend Studenten kommen aus nicht mehr als fünf- bis siebenhundert Familien. Wenn ich Listen zusammenstelle, tauchen immer wieder dieselben Familiennamen auf. Deshalb hat es mir vorhin einen Ruck gegeben, als Sie sagten, es sei wie eine Familie. Ich fragte mich, wieviel Sie wirklich darüber wüßten.«
    »Praktisch gar nichts, bis ich hierherkam.«
    »Ja. Und ich habe schon längst zuviel gesagt, nicht wahr?«
    »In einem auf diese Weise geschlossenen System«, fuhr ich fort, sie zu reizen, »ist Publizität so ungefähr das letzte, was sich das Establishment wünschen kann.«
    »Natürlich. Jedson ist ein Anachronismus. Es überlebt das zwanzigste Jahrhundert, indem es klein bleibt und sich den Schlagzeilen fern hält. Ich hatte die Anweisung, Sie mit gutem Essen und gutem Wein zu bedienen, einen netten kleinen Spaziergang mit Ihnen über das Gelände zu machen und Sie dann zum Tor zu führen, ohne daß Sie etwas erfahren haben, worüber Sie

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