Blackout
juckte. Der Gesang der Vögel regte mich auf. Ich konnte nicht stillsitzen.
So ging es den ganzen Nachmittag. Verheerend. Um halb fünf rief er an.
»Doktor Delaware? Hier Milo Sturgis. Detective Sturgis.«
»Was kann ich für Sie tun, Detective?«
»Wie fühlen Sie sich?«
»Viel besser, danke.«
»Das ist gut.«
Schweigen.
»Ah, Doktor, ich bin mir ein bißchen unsicher, und ich weiß nicht…«
»Woran denken Sie?«
»Ja, wissen Sie, ich war bei den Sanitätern in Vietnam. Wir haben häufig das erlebt, was man akute Streßreaktion nennt. Ich fragte mich, ob…«
»Sie denken, daß ich darunter leide?«
»Ja nun…«
»Was für eine Behandlung hat man bei Ihnen in Vietnam vorgeschrieben?«
»Wir haben die Leute so schnell wie möglich wieder in Einsatz gebracht. Je mehr sie sich von den Kämpfen zurückzogen, desto schlimmer wurde es.«
»Glauben Sie, ich sollte das auch tun? Einfach zurückspringen ins Wasser und schwimmen?«
»Das kann ich nicht sagen, Doktor. Ich bin kein Psychologe.«
»Sie diagnostizieren und wollen nicht behandeln.«
»Okay, Doktor… Ich wollte nur sehen, ob-«
»Nein. Warten Sie. Es tut mir leid. Ich finde es sehr nett, daß Sie angerufen haben.« Ich war verwirrt und fragte mich, was für tiefliegendere Beweggründe er wohl haben mochte.
»Ja, schon gut. Gern geschehen.«
»Ich möchte Ihnen wirklich danken. Sie wären ein verdammt guter Psychiater, Detective Sturgis.« Er lachte. »Das gehört manchmal zum Job, Sir.« Nachdem er aufgelegt hatte, fühlte ich mich besser als seit Tagen. Am nächsten Vormittag rief ich ihn in der Zentrale von West Los Angeles an und lud ihn zu einem Drink ein. Wir trafen uns bei ›Angela’s‹, gegenüber der Polizeistation am Santa Monica Boulevard. Es war ein Coffeeshop mit einer rauchigen Cocktail Lounge auf der Rückseite, die von mehreren Gruppen großer, schweigsamer Männer frequentiert war. Ich bemerkte, daß einige von ihnen Milo erkannten, was mir ungewöhnlich schien. Ich hatte immer gedacht, daß sich Polizisten häufig auf die Schultern schlugen und sich nach Dienstschluß gemütlich auf die Schippe nahmen. Diese Männer dagegen nahmen das Trinken ernst. Und sie waren still. Er hatte große Fähigkeiten als Therapeut. Er nippte an seinem Chivas, lehnte sich zurück und ließ mich reden. Jetzt war es kein Verhör mehr. Er hörte zu, und ich kotzte alles aus. Aber am Ende des Abends begann er dann auch zu reden. In den nächsten zwei Wochen stellten Milo und ich fest, daß wir viel Gemeinsames hatten. Wir waren etwa im gleichen Alter - er war, genau gesagt, zehn Monate älter als ich - und stammten aus Arbeiterfamilien in Mittelstädten. Sein Vater hatte als Maschinenschlosser gearbeitet, der meine als Elektromonteur. Auch er war ein guter Student gewesen und hatte das College in Purdue cum laude absolviert, außerdem einen M. A. in Literatur an der Indiana-Universität in Bloomington erworben. Er wollte Lehrer werden, als er eingezogen wurde. Zwei Jahre in Vietnam hatten ihn zum Polizisten gemacht. Nicht, daß er der Meinung war, sein Beruf würde seinen intellektuellen Interessen im Wege stehen. Die Kriminalbeamten bei den Mordkommissionen, informierte er mich, seien die Intellektuellen eines jeden Polizeidepartments. Einen Mord zu untersuchen, erforderte wenig körperliche Aktivität, aber viel Geistesarbeit. Ältere, erfahrenere Beamten in den Mordkommissionen verletzten oft die Bestimmungen und trugen gar keine Waffen, sondern nur Kugelschreiber und Bleistifte bei sich. Milo hatte zwar immer seinen 38er Dienstrevolver dabei, schwor aber, daß er ihn nie brauchte.
»Es ist wirklich ein Job, bei dem man sich die Hände nicht schmutzig macht; dafür hat man viel mit Papierkram zu tun, muß Entscheidungen treffen und aufmerksam das kleinste Detail beachten.«
Er war gern Polizist, und es machte ihm auch Spaß, die Bösewichte zu schnappen. Manchmal dachte er, er könnte es ja auch mal mit einem anderen Job versuchen, aber es war ihm nicht klar, wie dieser andere Job aussehen sollte. Es gab noch mehr gemeinsame Interessen. Beide hatten wir die Kunst der Selbstverteidigung studiert. Milo war bei der Armee ein Durcheinander verschiedener Techniken beigebracht worden, ich hatte Karate noch auf der höheren Schule gelernt. Wir waren beide furchtbar aus dem Training, redeten uns aber ein, daß das alles zurückkommen würde, wenn wir es brauchten. Beide genossen wir gutes Essen, gute Musik und die Tugend der Einsamkeit.
Die
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