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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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persönliche Beziehungen herstellen mit dem Kind und mit dessen Familie, ganz gleich, wie groß der Unterschied im Milieu sein mag. Das ist der erste Schritt, wenn man sich um das Kind kümmern will. Das schärfe ich auch immer wieder den Studenten in den ersten Semestern ein, wenn ich meine Vorlesung über die Einführung in die klinische Medizin halte.«
    »Faszinierend.«
    »Die Studenten sind hochzufrieden mit meinen Vorlesungen. Ich bin ein erstklassiger Lehrer, wissen Sie.« Ich verstärkte den Druck mit dem 38er. Das Silberhaar im Nacken teilte sich ein wenig, aber er rührte sich nicht. Ich konnte sein Haarwasser riechen, Gewürznelke und Zitrone. »Lassen Sie den Wagen an und fahren Sie ihn auf die Straßenseite. Hinter den großen Eukalyptusbaum.« Ich gab ihm die Schlüssel, der Wagen sprang an und rollte, dann blieb er stehen.
    »Schalten Sie Motor und Scheinwerfer ab.«
    »Seien Sie nicht so grob«, sagte er. »Sie brauchen nicht den Versuch zu unternehmen, mich einzuschüchtern.«
    »Schalten Sie den Motor ab, Will.«
    »Doktor Towle.«
    »Doktor Towle.«
    Der Motor verstummte.
    »Ist es nötig, mir dieses Ding in den Nacken zu drücken?«
    »Die Fragen stelle ich, nicht Sie.«
    »Ich finde das überflüssig. Wir sind hier nicht Darsteller in einem billigen Western-Film.«
    »Nein, es ist viel schlimmer. Das Blut ist echt, und niemand steht auf und geht davon, wenn sich der Rauch gelegt hat.«
    »Schon wieder diese Melodramatik.«
    »Hören Sie endlich auf zu spielen«, sagte ich wütend. »Spielen? Spielen wir denn? Ich dachte, nur Kinder spielen. Verstecken, Sackhüpfen.« Seine Stimme wurde höher. »Auch die Erwachsenen spielen«, sagte ich. »Manchmal sind es sehr schlimme Spiele.«
    »Spiele. Spiele helfen, wenn das Kind die Integrität seines Egos gewinnen soll. Das hab’ ich mal wo gelesen- bei Ericson? Oder war es Piaget?«
    Entweder war Kruger nicht der einzige Schauspieler in der Familie, oder hier ging etwas vor sich, worauf ich nicht gefaßt war…
    »Anna Freud«, flüsterte ich.
    »Ja. Anna. Großartige Frau. Hätte sie gern kennengelernt, aber wir sind beide so beschäftigt… Schade… Das Ego muß seine Integrität bewahren- egal, was es kostet.« Er schwieg eine Minute, dann sagte er: »Diese Sitze müssen gereinigt werden. Ich sehe Flecken auf dem Leder. Jetzt gibt es ein hervorragendes Reinigungsmittel für Leder; das hab’ ich bei der Autowäsche gesehen.«
    »Sarah Quinn«, erinnerte ich und versuchte, ihn wieder in die Realität zurückzuholen. »Wir müssen sie retten.«
    »Sarah. Hübsches kleines Mädchen. Ein hübsches Mädchen ist wie eine zarte Melodie. Hübsches kleines Kind. Und so vertraut…«
    Ich redete auf ihn ein, aber er glitt immer wieder davon. Minute für Minute verstärkte sich die Tendenz, das Sprechen wurde zunehmend unzusammenhängend und sinnlos, so daß er nur noch Wortsalat von sich gab. Er schien zu leiden dabei; sein aristokratisches Gesicht umwölkte sich mit Schmerz. Und immer wieder kam die Phrase ›Das Ego muß seine Integrität bewahren‹, als wäre das sein Katechismus.
    Ich mußte ihn auf das Gelände von La Casa bringen, doch in seinem derzeitigen Zustand war er für meine Zwecke nicht zu gebrauchen. Ich begann in panische Nervosität zu verfallen. Seine Hände blieben auf dem Lenkrad, aber sie zitterten.
    »Tabletten«, sagte er.
    »Wo?«
    »Tasche…«
    »Also los«, erklärte ich nicht ohne Argwohn, »langen Sie hinein und holen Sie sie raus. Die Tabletten, aber nichts anderes. Und nehmen Sie nicht zu viele.«
    »Nein… Zwei Tabletten… Empfohlene Dosis… Niemals mehr… Niemals… Sagte der Rabe… Nie mehr…«
    »Nehmen Sie sie.«
    Ich zielte weiter mit dem Revolver auf ihn. Er langte mit einer Hand nach unten und zog ein Fläschchen aus der Tasche, das so aussah wie das Fläschchen, in dem Sarahs Ritalin-Tabletten gewesen waren. Vorsichtig schüttelte er zwei weiße Tabletten heraus, verschloß das Fläschchen wieder und steckte es ein. »Wasser?« fragte er wie ein Kind. »Schlucken Sie sie trocken.«
    »Ich soll… Lästig.«
    Er schluckte die Tabletten.
     
    Kruger hatte recht gehabt. Er war gut im Dosieren. Innerhalb von zwölf Minuten auf meiner Uhr sah er wesentlich besser aus, und auch die Geräusche, die er von sich gab, klangen besser. Ich mußte daran denken, mit welcher Mühe er sich täglich zusammenreißen mußte, um vor der Öffentlichkeit zu | erscheinen. Und das Gespräch über die Morde hatte seinen Verfall

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