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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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des Revolvers gegen das Rückgrat.
    Aus Geschmacksgründen und aus Prinzip hasse ich alle Feuerwaffen. Mein Vater liebte und sammelte sie. Erst die Lugers, die er als Erinnerungen an den zweiten Weltkrieg mit nach Hause brachte. Dann die Jagdgewehre, die Schrotflinten, die Pistolen, die er in Trödlerläden gefunden hatte, einen alten, verrosteten 45er Colt, gefährlich aussehende italienische Pistolen mit langen Läufen und gravierten Kolben, stählern-blaue 22er-Pistolen. Mit Liebe und Sorgfalt gereinigt und poliert und im Arbeitszimmer ausgestellt, hinter dem Glas einer Kirschholzvitrine. Die meisten geladen; mein Vater spielte damit, während er beim Fernsehen saß. Er rief mich dazu, zeigte mir Einzelheiten der Konstruktion, wies mich auf die Schönheit der Verzierungen hin, sprach von Feuergeschwindigkeit, Schlagstück, Bohrung, Mündung und Schaft. Der Geruch von Maschinenöl. Der Geruch nach verbrannten Streichhölzern, der stets an seinen Händen war… Als kleines Kind hatte ich Alpträume von den Schußwaffen, die ihre Futterale verließen, wie Haustiere, die aus den Käfigen flohen, sich selbständig machten, zu bellen und zu knurren begannen… Einmal stritt er mit meiner Mutter, ein lauter, häßlicher Streit. Voll Zorn ging er zur Vitrine und riß die erste Waffe heraus, die er in die Finger bekam - eine Luger-Pistole mit teutonischtüchtigem Wirkungsgrad. Er richtete sie auf meine Mutter. Ich sehe die Szene heute noch vor mir: Mutter, die ›Harry!‹ schrie, er selbst, als ihm klarwurde, was er da tat, wie er entsetzt die Pistole fallen ließ, als wäre sie ein giftiges Meeresungeheuer, wie er auf meine Mutter zuging und Entschuldigungen stammelte. Er hat es nie wieder getan, aber die Erinnerung daran hatte ihn verändert, ihn und meine Mutter- und mich, den Fünfjährigen, der halb verborgen in der Tür gestanden und alles beobachtet hatte, die Bettdecke in der Hand. Seit damals haßte ich Feuerwaffen. Aber im Augenblick liebte ich das Gefühl des 38ers, dessen Mündung einen Abdruck auf Towles Blazer hinterließ.
    »Steigen Sie in den Wagen ein«, flüsterte ich. »Setzen Sie sich hinters Lenkrad und machen Sie keine falsche Bewegung, sonst knall’ ich Sie ab.«
    Er gehorchte. Ich lief rasch auf die Beifahrerseite und setzte mich neben ihn. »Sie«, sagte er.
    »Lassen Sie den Motor an.« Ich drückte ihm den Revolver in die Seite, härter, als es nötig gewesen wäre. Hustend sprang der kleine Wagen an.
    »Fahren Sie an den Straßenrand und bleiben Sie so stehen, daß die Fahrertür dicht neben der Felswand ist. Dann schalten Sie den Motor ab und werfen die Schlüssel zum Fenster hinaus.« Er tat, was ich ihm befahl, das edle Profil unbewegt.
    Ich stieg aus und forderte ihn auf, das gleiche zu tun. So, wie er geparkt hatte, war die Fahrertür durch drei Meter hohen Granit blockiert. Er glitt auf die Beifahrerseite herüber und stieg dort aus, stand dann bewegungslos und stoisch am Rand der einsamen Straße. »Hände hoch.«
    Er schaute mich verächtlich an und folgte dem Befehl. »Das.ist ungeheuerlich«, sagte er.
    »Nehmen Sie mit einer Hand durch das offene Seitenfenster die Wagenschlüssel aus dem Zündschloß Ihres Wagens. Gehen Sie dann hinüber und werfen Sie die Schlüssel auf diese Stelle.« Ich zeigte auf einen Fleck, drei Meter vom Lincoln entfernt. Während ich mit dem Revolver auf Towle zielte, hob ich die Schlüssel auf.
    »Setzen Sie sich jetzt in Ihren Wagen, auf den Fahrersitz. Legen Sie beide Hände auf das Lenkrad, so daß ich sie sehen kann.« Ich folgte ihm zum Lincoln. Stieg hinten ein, setzte mich direkt hinter ihn Und drückte die Mündung des Revolvers gegen die Mulde zwischen Schädel und Nacken.
    »Sie kennen sich aus in Anatomie«, sagte ich leise. »Eine Kugel in die Medulla oblongata, und das Licht geht für immer aus.« Er sagte nichts.
    »Sie haben ganze Arbeit geleistet und Ihr Leben und das vieler anderer verpfuscht. Jetzt schlägt es auf Sie zurück. Was ich Ihnen biete, ist die Chance, einen Teil Ihrer Schuld zu tilgen. Einmal in Ihrem Leben bietet sich Ihnen die Möglichkeit, ein Leben zu retten statt es zu zerstören.«
    »Ich habe in meiner Zeit viele Leben gerettet. Ich bin schließlich Arzt.«
    »Ich weiß, Sie sind wahrhaftig ein großer Heiler vor dem Herrn. Aber wo waren Sie, als es darum gegangen wäre, Cary Nemeth zu retten?«
    Ein trockener, krächzender Laut drang tief aus seinem Inneren. Dennoch bewahrte er seine Haltung. »Ich vermute, Sie wissen

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