Blackout
ersten. Als verheirateter Student war meine Behausung größer- ein hübsches kleines Apartment. Zwei Schlafzimmer, ein Bad, ein Wohnraum, eine kleine Küche. Aber keine Bibliothek, kein Studio, so daß ich in der Küche studierte und las. Lilah hatte die Wohnung nett hergerichtet- kleine Dekorationen, Vorhänge, hübsche Kissen, alles, was die Frauen mögen. Willie junior war damals gerade etwas über zwei Jahre alt. Es war mein Examensjahr. Ich hatte etwas Schwierigkeiten mit vormedizinischen Kursen gehabt, mit Physik und organischer Chemie. Ich war nie brillant. Aber wenn es mir gelingt, mich in eine Sache einzuarbeiten und meine Aufmerksamkeit voll darauf zu richten, bin ich nicht schlecht. Ich wollte unbedingt Medizin studieren, und zwar aufgrund meiner eigenen Befähigung zu dem Fach. Mein Vater und mein Großvater waren Ärzte, und alle beide hatten sich schon als Studenten ausgezeichnet. Hinter meinem Rücken sagte man im Scherz, ich hätte nicht nur das Aussehen meiner Mutter, sondern auch ihren Verstand geerbt - sie dachten, ich hörte es nicht, aber ich habe es sehr wohl mitbekommen. Also wollte ich ihnen zeigen, daß ich es auch aufgrund eigener Verdienste schaffen würde und nicht, weil ich der Sohn von Adolf Towle war.
In der Nacht, als es passiert ist, hat sich der kleine Willie nicht wohl gefühlt und konnte schon abends nicht einschlafen. Er hatte geschrien und geschrien, und Lilah wurde sehr besorgt. Ich ging nicht auf ihre Bitte ein, ihr zu helfen, warf mich auf meine Bücher und versuchte alles andere abzublocken. Ich mußte meine Noten in den wissenschaftlichen Fächern verbessern. Aber je mehr ich es versuchte, desto weniger konnte ich mich konzentrieren.
Lilah war immer sehr geduldig gewesen mit mir, aber in dieser Nacht wurde sie wütend und allmählich völlig hysterisch. Ich blickte hoch, sah, wie sie auf mich zukam, die Hände - sie hatte ganz kleine Hände, eine zierliche, zauberhafte Frau - zu Fäusten geballt, den Mund offen - ich nahm an, daß sie schrie -, die Augen voller Haß. Sie kam mir vor wie ein kleiner Raubvogel, der sich gleich auf mich stürzen und nach mir picken würde. Ich stieß sie mit dem Arm weg. Sie verlor das Gleichgewicht, taumelte rückwärts, prallte mit dem Kopf gegen eine Ecke des Sekretärs - ein unheimliches Ding, ein antikes Möbelstück, das sie von ihrer Mutter bekommen hatte - und lag dann da, lag einfach da.
Ich sehe das alles so deutlich vor mir, als wenn es gestern geschehen wäre. Lilah liegt da und bewegt sich nicht. Ich erhebe mich aus meinem Stuhl wie in Trance, alles schwankt, alles dreht sich. Eine kleine Gestalt kommt von rechts auf mich zu, wie eine Maus oder, nein, eine Ratte. Ich schleudere sie weg, mit dem Fuß. Aber nein, es ist keine Ratte, nein, nein, es ist Willie junior, der wieder auf mich zukommt, nach seiner Mutter weint und mich schlägt. Ich bin mir nur schwach seiner Anwesenheit bewußt, hole aus, treffe ihn an der Schläfe. Zu hart. Er fällt auf den Boden und liegt still da. Bewegungslos. An der Seite seines Gesichts eine lange Wunde, die blutet. Meine Frau und mein Kind, getötet von meinen Händen! Ich suche meinen Rasierapparat, will mir die Pulsadern aufschneiden und die Sache damit zu Ende bringen. Dann höre ich hinter mir die Stimme von Gus. Er steht in der Tür, groß, fett, verschwitzt, in. Arbeitskleidung, einen Besen in der Hand. Der Hausmeister, der nachts die Gänge und die Hörsäle reinigt. Ich rieche ihn: Ammoniak, Schweiß, Reinigungsflüssigkeiten. Er hat das Geräusch gehört und ist nachsehen gekommen. Schaut mich an, lange und hart, wendet sich den beiden am Boden zu, kniet sich neben sie, fühlt nach ihrem Puls. ›Sie sind tot‹, teilt er mir mit. Eine Sekunde lang denke ich, er lächelt, und ich will schon auf ihn losgehen, einen dritten Mordversuch unternehmen. Dann wird aus dem Lächeln ein Stirnrunzeln. Er überlegt. ›Setz dich‹, befiehlt er mir. Ich bin es nicht gewohnt, von Leuten seiner Klasse herumkommandiert zu werden, aber ich bin schwach, und mir ist ganz elend vor Kummer, meine Knie geben nach, alles scheint sich aufzulösen… Ich wende mich ab von Lilah und Willie junior, setze mich hin, verberge mein Gesicht in den Händen. Beginne zu weinen. Und werde immer verwirrter. . . Ein Krampf, der sich ankündigt. Alles tut mir weh. Ich habe keine Tabletten, wie ich sie Jahre später zur Verfügung haben werde, wenn ich Arzt bin. Aber jetzt bin ich Medizinstudent in den Vorsemestern, ohne
Weitere Kostenlose Bücher