Blackout - Kein Entrinnen
Joseph Shoji,
3. August 2041.
Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Tatsache, dass Shaun bereit ist, in dieser Frau seine tote Schwester zu sehen. Oder die Tatsache, dass ich allmählich glaube, sie ist es wirklich.
Georgia Mason hatte eine bestimmte Art, sich zu verhalten. Ich meine mehr die Körpersprache als Verbales. So etwas kann man nicht vortäuschen, ohne es jahrelang geübt zu haben. Wenn diese Frau eine Hochstaplerin ist, dann hatte sie aber nicht jahrelang Zeit … und sie bewegt sich wie Georgia. Sie beherrscht all die kleinen Ticks und Marotten aus dem Effeff. Als sie in voller Montur aus dem Aufzug kam, mit Sonnenbrille … ich hätte sie beinahe Georgia gerufen und sie gefragt, was wir als Nächstes machen sollen. Gar nicht gut.
Wenn sie es tatsächlich ist, super. Dann sind die Gesetze der Wissenschaft noch weiter pervertiert und von dem entfernt worden, wofür sie ursprünglich gedacht waren. Ein Schlag für die Gesetze der Wissenschaft. Aber wenn sie es nicht wirklich ist …
Wenn sie es nicht ist, dann gehe ich davon aus, dass sie uns alle ins Verderben stürzt.
Aus Charmante Lügen , dem Blog von Rebecca Atherton,
3. August 2041. Unveröffentlicht.
Shaun: 28
Diesmal gab es kein Textadventure, das uns zur Hirnschale führte, was bedeutete, dass ich fahren musste, denn ich hatte uns auch beim letzten Mal hingebracht. Mir passte es gar nicht, von Georgia getrennt zu sein. Ich habe nie geklammert – sicher, jeder Psychologe, mit dem ich bisher zu tun hatte, attestierte mir Co-Abhängigkeit, aber kein Klammern. Doch das hieß nicht, dass ich es jetzt, da sie wieder lebte, gut fand, wenn sie mehr als um Armeslänge von mir entfernt war.
Mit der Zeit würde das Bedürfnis, sie jederzeit berühren zu können, nachlassen. Dessen war ich mir sicher. Zumindest hoffte ich, dessen sicher zu sein und mir nicht nur etwas vorzumachen.
Du hast viel Übung darin, dir etwas vorzumachen , bemerkte Georgia. Sie klang nicht wütend. Nur resigniert.
»Still«, murmelte ich.
Maggie, die auf dem Beifahrersitz saß, sah mich von der Seite an, sagte aber nichts. Dafür war ich ihr dankbar. Ich hatte absolut keine Ahnung, was ich ihr geantwortet hätte.
Hinten im Wagen wurde George von Mahir und Becks – vor allem von Mahir – ausgefragt, denn sie wollten austesten, wie viel sie wusste. Die meisten Fragen beantwortete sie ohne Zögern. Jedes Mal, wenn sie nicht gleich mit einer Erwiderung kam, hielt ich kurz die Luft an und rechnete mit einem Klicken, wenn Becks ihre Pistole entsicherte. Doch jedes Mal fing sich George wieder. Falls es tatsächlich Fragen gab, die sie nicht richtig beantworten konnte, dann waren es welche, die den beiden nicht einfielen.
Welche Antworten noch in den drei Prozent verborgen waren, die sie durch ihren Tod und ihre Wiederauferstehung verloren hatte, kümmerte mich nicht. Sie hatte mir alle Antworten gegeben, die ich haben wollte.
Heimlich drückte Maggie den Knopf, der die Türen verriegelte, als wir durch das Viertel fuhren, das zur Hirnschale führte. Ihre besorgten Blicke aus dem Fenster offenbarten den Grund dafür. Obwohl sie die Gegend schon einmal besucht und überlebt hatte, beunruhigte sie der Verfall der Gebäude.
»Das wird schon, Maggie«, sagte ich. »Ich bezweifle, dass außer den Verrückten, die wir aufsuchen werden, noch jemand hier lebt. Und klar, die wollen uns vielleicht erschießen, um unsere Leichen in der Gefriertruhe einzulagern, aber das ist doch etwas ganz Normales, oder nicht?«
Sie brummte etwas auf Spanisch, was ziemlich giftig klang, bevor sie hinzusetzte: »Das war überhaupt nicht normal, bis ich angefangen habe, mit auf die Reise zu gehen.«
»Siehst du? Wie ich immer zu sagen pflege: Reisen erweitert den Horizont.«
Maggie zeigte mir den Mittelfinger.
Ich schnalzte mit der Zunge. »Echt jetzt? Du zeigst mir den Stinkefinger? Komm schon, Maggie. In den letzten vierundzwanzig Stunden bin ich in die Seuchenschutzbehörde eingebrochen …«
»Nicht zum ersten Mal«, rief Becks vom Rücksitz. »Du darfst Portland nicht vergessen.«
»Okay, stimmt. Punkt. Also: Ich bin mal wieder bei der Seuchenschutzbehörde eingebrochen, die, nebenbei gesagt, gerade in die Luft flog, als ich dort war. Ich habe meine Schwester von den Toten zurückkommen sehen und eine Menge Kaffee getrunken. Da braucht es schon mehr als einen Mittelfinger, um mich aus der Fassung zu bringen.«
Maggie hob beide Hände und zeigte mir beide Mittelfinger.
Ich nickte
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