Blackout - Kein Entrinnen
unser modifizierter Routenplaner zusammengestellt hatte, desto mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich mich geirrt hatte. Und auch, wie viele Landstriche wir während des Erwachens tatsächlich verloren hatten. Die meisten Straßen, denen wir folgten, tauchten in herkömmlicher Kartensoftware gar nicht mehr auf, weil man sie den Toten überlassen hatte oder weil sie in Gegenden lagen, die man nicht mehr zu sichern können glaubte. Hirsche und Kojoten streckten ohne die geringste Scheu ihre Köpfe aus dem Gehölz und sahen uns neugierig an, als wir vorbeifuhren. Ich wusste nicht zu sagen, ob das daran lag, dass sie infiziert waren, oder dass sie vergessen hatten, was Menschen sind. Solange wir im Wagen blieben, konnte uns das egal sein.
»Hier draußen gab es früher mal Bären, wusstest du das?«, sagte ich.
»Wirklich?« Becks blickte auf und runzelte zweifelnd die Stirn. »Gibt es einen Grund, weshalb du mir das erzählst? Soll ich die fetteste Knarre herauskramen, die ich finden kann?«
»Nein. Ich frage mich nur, ob hier vielleicht nicht wieder Bären leben. Schließlich hatte Kalifornien früher einen Grizzlybären auf der Staatsflagge.«
Becks schauderte. »Ich begreife einfach nicht, wie sie je auf diese Idee gekommen sind. Die jetzige Flagge gefällt mir viel besser.«
»Glaubst du nicht, dass sie ein wenig … nun ja, keimfrei ist?« Die alte Bärenflagge wäre in einer Welt nach dem Erwachen vielleicht nicht mehr ganz so politisch korrekt gewesen, aber sie wirkte, als würde Leidenschaft dahinterstecken, als hätte sich früher einmal jemand wirklich für dieses Symbol und für das, wofür es stand, interessiert. Die neue Flagge – gekreuzte Mammutbaumzweige und kalifornischer Mohn – kam mir immer wie etwas vor, dass sich eine Marketingabteilung unter Zeitdruck für die Regierung ausgedacht hatte, damit man etwas hatte, was man am Regierungssitz aufhängen kann.
»Aber ›keimfrei‹ ist eben durchaus auch gesund. Während ich es eher ungesund finde, einen gigantischen Fleischfresser als Staatssymbol zu haben, Zombies hin oder her.«
»Was ist auf der Flagge von Connecticut?«
»Ein Schild mit drei Weinstöcken drauf.«
Was? George klang verdutzt.
»Ganz meine Meinung«, murmelte ich, und etwas lauter fragte ich: »Und wofür soll das stehen? ›Willkommen in Connecticut, wir sorgen dafür, dass Sie besoffen sind, bevor die Toten auferstehen‹?«
»Ich habe keine Ahnung, wofür das steht. Es ist bloß eine dumme Flagge. Wofür stand der Bär? ›Komm nach Kalifornien, dort brauchst du nicht auf Zombies zu warten, wenn du gefressen werden möchtest‹?« Becks sah mich finster und herausfordernd an.
Ich konnte nicht anders, als zu lachen.
»Was? Was ist daran so lustig?«
»Wir sind auf der Flucht vor dem Seuchenschutz, fahren zu einer Tanke, die Drogenhändler und durchgeknallte Wissenschaftler versorgt, und streiten uns über die Aussagen von Staatsflaggen.«
Becks blinzelte mich an. Dann legte sie den Tablet-Computer auf dem Knie ab, beugte sich vor, um die Stirn auf dem Armaturenbrett aufzustützen, und lachte. Grinsend drückte ich aufs Gas. Solange wir lachten, dachten wir jedenfalls nicht allzu viel über das nach, was uns erwartete.
Viele Jahre vor meiner Geburt hatte Richard Nixon einen »Krieg gegen Drogen« ausgerufen, als würden die Drogen irgendwann schon merken, dass man sie belagerte, und daraufhin die Flucht ergreifen. Dieser Krieg hatte jahrzehntelang angedauert, noch ehe das Kellis-Amberlee-Virus uns einen Gegner beschert hatte, gegen den es wirklich Krieg zu führen galt. Ein vernünftiger Mensch sollte annehmen, dass die wandelnden Toten Grund genug wären, sich nicht länger wegen ein paar entspannender Mittel den Kopf zu zerbrechen. Doch es sollte sich herausstellen, dass die Lobby der Konzerne, die von der Illegalität dieser bösen Drogen profitierten, nicht damit einverstanden war. Und so ging der Krieg gegen die Drogen weiter bis zum heutigen Tag.
Schmuggel ist eine altehrwürdige Tradition. Man muss eine Sache nur für illegal erklären und für eine Verknappung sorgen, und schon werden die Leute einen Weg finden, sie sich zu beschaffen. Nicht nur das, sie werden auch einen Weg finden, daraus Profit zu schlagen. In gewisser Weise war das Erwachen das Beste, was den Drogenschmugglern dieser Welt passieren konnte, denn plötzlich waren da all die entvölkerten Straßen, Highways und sogar ganze Städte, in denen es keine Polizei mehr gab. Da war niemand mehr, der
Weitere Kostenlose Bücher