Blackout - Kein Entrinnen
Ihnen einer der Pfleger das Essen bringen und sie zur Toilette begleiten. Danke für Ihre Mitarbeit.«
»Welche Mitarbeit? Sie haben mir mit Ihren Spezialeffekten das Trommelfell zertrümmert und mich dabei wie ein Haufen dreckiger Spanner beobachtet!« Ich merkte, dass ich schrie, holte tief Luft und zwang mich, ein bisschen runterzukommen. Das war nicht einfach. In letzter Zeit war kaum etwas einfach.
Es kam keine Antwort. Die Gegensprechanlage war bereits wieder aus.
Ich ging zum Bett zurück und spürte, wie sich das von der Sirene heraufbeschworene Kopfweh zwischen meinen Ohren Stück für Stück aufbaute. Ich ließ mich auf die Matratze fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. So verharrte ich lange Zeit, ich weiß nicht, wie lange, aber immerhin so lange, bis meine Handgelenke taub wurden. Dann erst hörte ich, wie die Tür aufglitt. Ich hob den Kopf.
Im Durchgang stand einer der Wärter mit einem Pfleger. George, aus dem Team von Dr. Shaw. Ich blinzelte.
»Wir sind hier, um Sie zur Toilette zu bringen«, sagte er, ohne sich anmerken zu lassen, dass wir uns bereits kannten. »Wenn wir zurückkommen, wird das Essen schon auf Sie warten sowie Schmerztabletten für Ihren Kopf.«
Ich runzelte ein wenig die Stirn. »Haben Sie medizinische Sensoren in meiner Matratze?«
Er riskierte ein Lächeln. »Nein. Aber wir haben Kameras, mit denen wir sehen, wie Sie sich an die Stirn fassen. Wenn Sie bitte mitkommen würden …«
Welches Spiel er auch immer spielte, er tat es wahrscheinlich im Auftrag von Dr. Shaw, und auch wenn ich noch immer nicht wusste, ob ich ihr vertrauen sollte, vertraute ich doch Gregory, und der wiederum vertraute Dr. Shaw. Meine Beziehungen zu den Leuten um mich herum hingen immer mehr voneinander ab. Ich vertraute George, weil Dr. Shaw ihm vertraute. Ich vertraute Dr. Shaw, weil Gregory ihr vertraute.
Ich vertraute Gregory, weil er meine beste Option darstellte, hier herauszukommen, ohne dabei draufzugehen. Ohne noch einmal draufzugehen.
»Sicher«, sagte ich und stand auf.
Draußen wartete ein zweiter Wachmann, der sich hinter mir in Bewegung setzte. Der erste Wachmann ging voraus, George blieb zu meiner Rechten. Vor der Tür zur Toilette blieben wir stehen.
»Wie geht es Ihrem Kopf?«, fragte George.
»Er tut weh«, entgegnete ich. »Wie lange war ich da drin?«
»Ungefähr sechs Stunden.«
Das erklärte, weshalb die Wirklichkeit sich gedehnt und verzerrt hatte, bis nichts mehr geblieben war als die Sirene und das Warten. Ich runzelte die Stirn. »Dann möchte ich gefälligst eine Menge Schmerztabletten«, sagte ich, obwohl ich sie auf keinen Fall schlucken würde. Die Leute, die das Essen zubereiteten, konnten mir jederzeit etwas hineinmischen, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Das hieß aber nicht, dass ich es ihnen noch einfacher machen musste.
»Sie bekommen eine medizinisch unbedenkliche Dosis«, sagte George, und es sollte aufmunternd klingen. »Nun bitte, Sie haben zwölf Minuten, bis Ihr Essen fertig ist. Sie brauchen sich nicht zu hetzen, aber Sie möchten bestimmt nicht, dass Ihre Suppe kalt wird.«
Das letzte Mal, als Gregory mich aus meiner Zelle abgeholt hatte, war es Mitternacht gewesen. Ich nickte schwach, um ihm zu bedeuten, dass die Nachricht bei mir angekommen war – vorausgesetzt, es gab eine Nachricht. Vielleicht wollte ich auch nur eine Nachricht sehen, wo keine war. »Ich beeile mich.«
»Das freut uns.«
Die Wärter begleiteten mich nicht auf die Toilette. Dennoch bewegte ich mich so, als wären sie bei mir und würden mich beobachten. So ärgerte mich das Wissen, dass ich von einem halben Dutzend versteckter Kameras beobachtet wurde, nicht ganz so sehr. Wäre Buffy hier gewesen, hätte sie die Kameras anhand winziger Unregelmäßigkeiten im Mörtel erkannt und mit Seifenwasser und gespielter Tollpatschigkeit unschädlich gemacht. Wenn schon eine von uns von den Toten zurückgekehrt war, dann hätte sie es sein müssen. Für sie wäre es lediglich eine weitere Geschichte gewesen. Sie wäre damit besser klargekommen.
Oder auch nicht. Die Wahrheit ist manchmal sonderbarer als die Fiktion, und die Details, die bei der ganzen Sache noch immer keinen Sinn ergaben, hätten vielleicht ausgereicht, um ihr den Verstand zu rauben. Der einzige Grund, weshalb sie mich nicht in den Wahnsinn trieben, war, dass ich etwas hatte, woran ich mich festklammern konnte. Shaun war am Leben. Shaun war irgendwo da draußen. Und wo immer er war, er brauchte
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