BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
Minuten später warf ein kleines Feuer tanzende Schatten an die Wände. In der Zwischenzeit hatte Shannon einen der verwitterten Pfosten, die in einer Ecke lehnten, auf die Flammen geworfen, und auch dieser begann zu glühen. Manzano hatte sich vor dem Feuer zusammengekauert und streckte seine Hände in die Wärme.
»Das ist großartig«, seufzte er. »Wo hast du das gelernt?«
»Pfadfinder«, antwortete sie. »Ein paar Jahre lang hat mich meine Mutter hingeschickt. Ich mochte es nie besonders. Wer hätte gedacht, dass es mir eines Tages nützt.«
Sie wusste, dass es nicht ungefährlich war, neben diesem Feuer einzuschlafen. Funkenflug konnte die gesamte Hütte in Brand setzen und der Rauch sie im Schlaf ersticken.
Eine Weile starrten sie stumm in die Flammen.
»Was für ein Irrsinn«, bemerkte Manzano schließlich.
Shannon erwiderte nichts.
»Ein Gedanke will mir nicht aus dem Kopf«, fuhr Manzano fort. »Welche Ziele die Angreifer damit verfolgen, dass sie uns den Lebenssaft unserer Zivilisation abdrehen. Ist es das, was sie wollen? Dass wir uns gegenseitig ausrauben und die Schädel einschlagen? Uns wieder wie Steinzeitmenschen verhalten?«
»Dann ist es ihnen gelungen«, meinte Shannon bitter, stand auf, kippte ihren Seesack aus, reichte ihm einige Kleidungsstücke. Viel war es nicht.
»Als Unterlage und zum Zudecken.«
»Bei allen ist es ihnen noch nicht gelungen.«
»Was?«
»Das mit dem Steinzeitverhalten. Danke.«
Manzano knüllte zwei T-Shirts und einen Pullover zu einer Kopfstütze zusammen. Shannon tat dasselbe mit einer Hose. Sie legten sich gegenüber, mit dem Blick zum Feuer. Shannon spürte die Kälte im Rücken, aber nicht mehr so beißend wie im Freien. Manzano hatte seine Augen bereits geschlossen.
Shannon warf noch einen Blick auf die kleinen Funken, die vereinzelt aus dem glühenden Pfosten sprangen, schloss gleichfalls die Augen und hoffte, dass sie am nächsten Morgen wieder aufwachen würde.
Tag 8 – Samstag
Ratingen
»Der Italiener und seine amerikanische Freundin sind verschwunden«, erklärte Hartlandt mit einem Seitenblick auf Pohlen. »Auch von Dragenau haben wir nichts wirklich Neues.«
Er sah in die Runde. Dienhof war da, die restliche Führungsriege der Talaefer AG , sogar Wickley.
»Die balinesischen Behörden haben den Tatort- und den Obduktionsbericht geschickt. Demnach wurde Dragenau am Auffindungsort erschossen, zwei Projektile in Brust und Bauch. Sein Hotelzimmer war durchsucht worden, bevor die Polizei es gefunden hatte. Keine Fingerabdrücke, vielleicht DNA , aber wer weiß, wie sorgfältig das Reinigungspersonal dort ist und von wie vielen vorherigen Gästen da noch Material herumliegt. Dragenaus Ausweis fehlte, Geld und Kreditkarten sind ebenfalls verschwunden.«
Er gab diese Einzelheiten mit Absicht bekannt, denn er hatte noch mehr zu berichten: »Allerdings gibt es ein hochinteressantes Detail: Dragenau war nicht Dragenau. Zumindest nicht im Hotel. Dort checkte er nämlich als Charles Caldwell ein. Sagte jemandem der Name etwas?«
Die versammelte Runde schüttelte ihre Köpfe.
»Warum sollte er das tun?«, fuhr Hartlandt fort. »Meine These ist, dass Dragenau unser Mann ist. Er ist nicht nach Bali gefahren, um Urlaub zu machen. Sondern um unterzutauchen. Zu seinem – und unserem – Unglück haben ihm seine Komplizen oder seine Auftraggeber nicht getraut. Deshalb musste er zum Schweigen gebracht werden. Schlecht für uns, denn nun kann er uns nichts mehr sagen. «
»Das sind doch nur Spekulationen«, ereiferte sich Wickley. »Und wenn der Tote tatsächlich Charles Caldwell ist? Warum sollte Dragenau denn so etwas tun?«
»Geld?«, schlug Hartlandt vor.
»Verletzter Stolz«, warf Dienhof ein. »Späte Rache.«
Wickley warf ihm einen bösen Blick zu.
»Weshalb?«, fragte Hartlandt nach. »Er gehörte zu den Schlüsselkräften des Unternehmens. Wofür sollte er sich rächen?«
»Vor vielen Jahren«, seufzte Wickley, »noch als Technikstudent, gründete Dragenau eine Firma für Automationssoftware. Er war ein brillanter Kopf, aber ein schlechter Kaufmann. Trotz seiner ausgezeichneten Produkte kam er nie richtig ins Geschäft. Eine Weile war er ein Konkurrent, aber auf Dauer hatte er gegen Talaefer keine Chance. Ende der Neunzigerjahre verkaufte er an uns und wurde Chief-Architect. Als solcher trieb er die Entwicklung neuer Geschäftsfelder technologisch voran.«
»Ich verstehe nicht, wofür er sich rächen sollte«, wandte Hartlandt ein. »Klingt,
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