BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
die Brennstäbe, die nicht mehr verwendet werden. In manchen Kraftwerken liegen in den Abklingbecken mehr Brennstäbe, als im Reaktor selbst aktiv sind. Da sie nach wie vor sehr heiß sind, müssen sie noch jahrelang gekühlt werden. Das Becken in Philippsburg 1 war immer schon sicherheitskritisch, da es außerhalb des Sicherheitsbehälters für den Reaktor liegt, oben im Gebäude, offen unterhalb des Dachs. Die längste Zeit war das Notstromsystem völlig unzureichend, beziehungsweise es existierte gar kein eigenes für das Abklingbecken, erst seit der vorzeitigen Stilllegung wurde es notdürftig nachgerüstet. Gegen einen schweren Flugzeugabsturz ist es bis heute nicht gesichert. Aber wie wir sehen, braucht es den gar nicht. Nach Angaben der Betreiber ist der Diesel zur Kühlung der Abklingbecken im Lauf der Nacht zu Ende gegangen. Diesel von der Notkühlung der Reaktoren wagte die Kraftwerksleitung nicht abzuzweigen. Seither konnte das Wasser im Becken nicht mehr gekühlt werden. Durch die Hitze der Brennstäbe ist es mittlerweile größtenteils verdampft. Bis der Ersatzdiesel angekommen ist, wird es voraussichtlich völlig weg sein. Vermutlich beginnen die Brennelemente bereits zu schmelzen. Ich brauche niemandem hier zu erklären, was das bedeutet. Oder vielleicht doch. Da sich das Abklingbecken nicht im Sicherheitsbehälter befindet, fände diese Kernschmelze mitten im Gebäude statt. Dadurch wird das Gebäudeinnere so schwer verstrahlt, dass es eigentlich nicht mehr betreten werden kann. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber bei einer Explosion könnten selbst Mannheim und Karlsruhe gefährdet sein.«
»Verdammt!«, brüllte der Bundeskanzler und hieb mit der Faust auf den Tisch, dass selbst dessen schwere Platte zitterte. »Da steigt man schon aus, und dann passiert trotzdem noch etwas!«
»Das gern zitierte Restrisiko«, murmelte Michelsen.
»Müssen wir die Umgebung evakuieren?«, fragte der Kanzler.
»Selbst wenn wir es wollten, schnell können wir es auf keinen Fall tun«, antwortete der Staatssekretär. »Die Verbindung zu lokalen Hilfsmannschaften aller Art ist längst lückenhaft. Selbst wenn wir nur von ein paar Kilometern Umkreis sprechen, bräuchten wir Hunderte Fahrzeuge plus Fahrer plus Treibstoff. In der gegenwärtigen Lage …« Er blickte betreten auf die Tischplatte vor sich, schüttelte den Kopf, »können wir nur beten.«
Brüssel
Bis zur nächsten Weiche hatte sich genug Treibstoff im Tank befunden. Dort hatten Shannon und Manzano das Schienengefährt kurzerhand an den Zug angedockt. Der Lokführer weit vorn hatte davon nichts mitbekommen.
Eine Dreiviertelstunde später hielt der Zug in dicht bebautem Gebiet. Die Gleisanlage ließ Manzano vermuten, dass sie einen großen Bahnhof erreicht hatten.
Entlang des Zuges standen auf beiden Seiten Soldaten, je einer im Abstand von vielleicht zwanzig Metern, jeder mit einem Gewehr vor der Brust.
»Hoffentlich warten die nicht auf uns«, sagte Manzano.
»Nimm dich nicht so wichtig«, entgegnete Shannon. »Die sind sicher wegen Plünderern hier.«
Ein Soldat ohne Gewehr, dafür mit Megafon, patrouillierte den Zug entlang und forderte die Leute in Französisch auf, abzusteigen und sich ruhig zu entfernen. Sie kletterten von den Containern und Waggons und schleppten unbehelligt ihre Habseligkeiten zwischen den Soldaten hindurch, die sich nicht bewegten. Manzano und Shannon mischten sich unter die Menge. Niemand beachtete sie.
»Sage ich doch«, erklärte Shannon, als sie mit den anderen über die Gleise zu den Bahnsteigen liefen. »Die waren nur für die Ladung da.«
Die Stationsschilder bestätigten ihnen, dass sie Brüssel erreicht hatten.
»Wir sollten es zum Monitoring and Information Centre schaffen, bevor es dunkel wird.«
»Dazu müssen wir erst einmal herausfinden, wo es liegt.«
In der Bahnhofshalle hatten sich auch hier Hunderte Menschen behelfsmäßige Schlafstätten eingerichtet. Die Schalter waren geschlossen, aber Manzano entdeckte einen Mann in einer gelben Sicherheitsjacke, der das Treiben vom Rand beobachtete.
»Wo wollen Sie hin?«, fragte er, nachdem Shannon und Manzano ihr Englisch an ihm ausprobiert hatten.
»Zum Monitoring and Information Centre der EU «, wiederholte Manzano.
Der Mann zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung, wo das ist. Ich kenne nur den Sitz der Europäischen Kommission.«
»Wie kommen wir dorthin?«
»Mit dem Taxi.«
»Hier fahren Taxis?«
»Natürlich nicht«, erwiderte der
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