BLACKOUT - Morgen ist es zu spät - Elsberg, M: BLACKOUT - Morgen ist es zu spät
seinem Sprecher einen kurzen Blick zu, auffordernd, nicht fragend.
»Solange die Motive der Verursacher nicht bekannt sind, handelt es sich um einen Zusammenbruch aus ungeklärten Gründen«, sagte der Sprecher des Regierungschefs. »Alles andere würde die Menschen derzeit nur beunruhigen.«
»Sollten wir dieses Urteil nicht den Bürgerinnen und Bürgern selbst überlassen?«, fragte Michelsen.
»Wollen Sie eine Panik riskieren?«, fragte der Sprecher.
»Ich denke nur, dass es vernünftiger wäre, den Menschen zu sagen, worauf sie sich einstellen müssen.«
Sie hatte diese überhebliche, bevormundende Haltung von Führungskräften, ob in Wirtschaft, Wissenschaft oder Politik, nie verstanden. »Die Erfahrung lehrt uns doch«, erwiderte sie, »dass die Wahrheit früher oder später herauskommt.«
»In diesem Fall tut sie es besser später …«, sagte der Kanzler.
»Was dann wie üblich zum noch größeren Desaster führt«, murmelte Michelsen kopfschüttelnd, während Rhess erklärte:
»Außerdem müssen wir diese Verlautbarung international koordinieren. Kein Staat soll und wird dabei vorpreschen. Das ist in unser aller Interesse.«
Der Bundeskanzler erhob sich.
»Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. Wir sehen uns spätestens morgen um zwölf Uhr mittags wieder, zum ab sofort täglichen Jour fixe.«
Paris
Ambrose Tollé hatte Blanchard gerade noch gefehlt. Der Sekretär des Präsidenten war noch keine dreißig Jahre alt, gekleidet wie ein Model für ein Herrenmodemagazin, und trat auf, als wäre er der Staatschef persönlich.
Monsieur le Président hatte Tollé nach dem neuerlichen Totalausfall geschickt, um ihn permanent auf dem Laufenden zu halten. Und um Blanchard und allen anderen Verantwortlichen bei CNÉS zu signalisieren, dass sie Missfallen an oberster Stelle erregt hatten.
In der Gegenwart Tollés war auch Albert Proctets fatalistische Ruhe vom Nachmittag verschwunden. Hauptgrund für seine Schweißausbrüche und den damit verbundenen Geruch der Angst, den der IT -Chef vom Dienst verströmte, waren jedoch die Erkenntnisse der Tests, die sie im Lauf des Nachmittages durchgeführt hatten.
»Mit dieser IT können wir keine stabile Stromversorgung aufbauen«, erklärte Blanchard. Es war ein Offenbarungseid, und er wusste, dass er dafür zur Rechenschaft gezogen würde, wenn nicht in den nächsten Stunden, dann spätestens, sobald der Normalzustand wiederhergestellt war.
Seit drei Uhr nachmittags war praktisch ganz Frankreich abermals vom Netz. Fast alle Server zur Steuerung der Netzschaltstellen waren ausgefallen, auch die redundanten Systeme hatten versagt.
»Das mit den Testservern, die wir unmittelbar nach den Blue Screens aufsetzten, und der darauf etablierten Laborsituation habe ich Ihnen bereits erläutert«, sagte Blanchard. »Leider war das Ergebnis wenig hilfreich: Eine Neuinstallation auf Basis der vorhandenen Installationsroutinen ist keine Lösung. Jemand hat die Systeme richtig böse infiziert. Mit unserem Know-how allein kommen wir nicht weiter. Wir haben externe Experten angefordert. Sie werden noch heute Nacht mit den Arbeiten beginnen.«
»Heute Nacht?«, fragte Tollé kühl. »Warum nicht sofort?«
»Sie kämpfen mit denselben Problemen wie alle anderen. Ihre Leute sind nicht erreichbar, müssen sich um ihre Familien kümmern, Sie wissen schon …«
»Wann kann ich dem Präsidenten die Wiederherstellung der Stromversorgung mitteilen?«
»Das können wir zurzeit noch nicht abschätzen«, gestand Blanchard zerknirscht. Warum gelang es diesem jungen Fatzke, dass er sich so mies fühlte?
»Diese Antwort wird er nicht akzeptieren.«
»Das wird er müssen«, sagte Proctet zu Blanchards Überraschung.
Blanchard sah, wie Tollés Kiefer arbeiteten. Mit mühsam beherrschtem Ton antwortete der Sekretär: »Sagen Sie, was Sie brauchen, damit es schneller geht, und ich kümmere mich darum.«
Blanchard überlegte, wie oft er sich von der Politik etwas gewünscht hatte. Wirklich handelten die Damen und Herren wie üblich erst, wenn etwas Schlimmes geschehen war. Dann waren sie auf einmal da, die Retter der Nation, um für ihre Versäumnisse von früher andere verantwortlich zu machen und selbst den Helden zu spielen. Blanchard hätte kotzen können, doch sogar dafür fehlte ihm in diesem Augenblick die Kraft.
Berlin
Michelsen trank noch einen Espresso. Sie sehnte sich nach einem Bett. Stattdessen schüttete sie gleich noch einen Kaffee nach, drückte sich einen weiteren aus der
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