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Blackout

Blackout

Titel: Blackout Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregg Hurwitz
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dieser Abschnitt meines Lebens hat eine ganz besonders tolle Struktur.«
    »Deswegen ist Ihnen das vielleicht alles passiert.«
    »Ich glaube nicht an
Intelligent Design,
also daran, dass hinter allem ein intelligenter Entwurf steckt.«
    »O doch.« Sie zeigte auf die Buchrücken in ihrer ganzen glänzenden Herrlichkeit.
    Ich brauchte einen Moment, bevor ich begriff, was sie meinte. »Ich glaube ans Erzählen. Aber ich glaube nicht, dass es für alles einen Grund gibt und dass die Dinge immer von selbst besser werden.«
    Erzähl das mal Lloyd und dem Hochzeitsfoto in diesem dunklen Korridor.
    Erzähl das mal den Broachs, die Kaseys halb aufgebrauchte Kosmetikartikel und Tiefkühlgerichte und weiße Haarspangen sortieren.
    Erzähl das mal mir, der ich in diesem gottverdammten Krankenhausbett aufgewacht bin und Genevièves Blut unter meinen Fingernägeln hatte.
    Caroline sah mich an, musterte mein Gesicht ganz genau, und ich fuhr fort: »Ich lehne den Entwurf an sich nicht ab, aber ich glaube, dass man seinen eigenen Entwurf machen muss, und das ist harte Arbeit, und ein Geländer, das einen vor dem Absturz bewahren könnte, gibt es dabei nicht.«
    »Was passiert dann, wenn man aus der Kurve fliegt?«
    »Dann hat man entweder ein paar Jahre verschwendet, oder man muss sich eingestehen, dass der erste Entwurf einfach mies war. Beides nicht besonders wichtig.«
    »Der Sinn liegt aber nicht in der Willkür des Lebens, Drew. Sondern in unserer Reaktion darauf. Stellen Sie sich vor, Ihre Frau wird von einem Bus überfahren. Dann können Sie entweder den Rest Ihres Lebens diese ungerechte Welt beklagen, oder Sie könnten beschließen, ein Waisenhaus zu gründen.«
    »Oder ein Heim für Menschen, die von unfähigen Busfahrern in den Rollstuhl gebracht wurden.«
    »Wenn Sie sich dafür entscheiden, ein frohes Heim für von Schuldgefühlen zerfressene Busfahrer zu gründen, dann haben Sie einem sinnlosen Geschehnis einen Sinn gegeben. Sie haben ihm einen Platz in einer Geschichte zugewiesen. Kein frohes Heim, keine Geschichte. Keine Geschichte, kein Sinn.«
    »Kein Sinn, kein Wachstum.«
    »Die Leute ändern sich nicht mehr sehr, wenn sie erst mal erwachsen sind, aber vielleicht hat Ihnen diese Sache ja eine Chance gegeben.« Sie befeuchtete ihre Lippen mit der Zunge. »Ich wurde gezwungen, mich zu ändern.«
    »Zum Besseren?«
    »Keine Ahnung. Ich glaube, ich bin klüger geworden, aber ich bin vielleicht doch schlechter dran.«
    »Ihrer Meinung nach kommt es also immer darauf an, was man aus seiner momentanen Situation macht.«
    »Genau. Aber bin ich der Sache auch gewachsen?«
    »Da ich einen suchenden Geist habe, will ich die Antwort darauf wissen.«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob ich der Sache gewachsen bin.« Sie zitterte. Sie hatte die Arme verschränkt und zupfte mit den Fingern nervös an einem Faden herum, der sich an der Naht ihres T-Shirts gelöst hatte. Einen Moment lang dachte ich, ihr sei kalt, aber dann sagte sie: »Sie sind ganz leicht zurückgewichen, als Sie mich das erste Mal gesehen haben. Auf dem Spielplatz von Hope House. Ich habe Sie angewidert. Das ist die einzig reine Reaktion, die Sie jemals haben werden. Eine andere wahre Reaktion auf mein Gesicht können Sie nicht bekommen.«
    »Ich war nicht angewidert. Ich war überrascht.«
    »Toll. Romantisch.«
    Ich fasste sie sanft bei der Schulter, und sie gestattete mir, sie an mich zu ziehen. Die Kerbe von ihrer Narbe spaltete ihre Lippe an der Ecke, wo das Fleisch weich und warm war. Ich lehnte mich ein wenig zurück, und sie blieb eine Weile so – die Augen zu, den Kopf etwas zur Seite gelegt, den Mund leicht geöffnet.
    Sie schlug die Augen wieder auf, blasses Grün mit rostigen Flecken.
    »Überrascht?«, fragte ich.
    »Überrascht.«
    »Angewidert?«
    Sie schüttelte den Kopf. Auf ihrer Stirn bildeten sich ein paar Fältchen. »Ich kann nicht bei dir bleiben. Ich würde ja gerne, aber ich kann’s nicht.«
    »Darf ich dich zu deinem Auto begleiten?« Als wir aus der Haustür traten, nahm sie meine Hand so fest, dass sie mich fast kniff. Ein Versuch, der keine drei Schritte weit hielt. Die Luft war feucht und duftete süß nach dem nachtblühenden Jasmin. Als wir schließlich bei ihrem Auto waren, waren wir beide ganz verlegen – wie man sich beim Umarmen fragt, ob man nun die rechte oder die linke Wange aneinanderlegt, die Art, wie ich ihr die Tür aufhielt, unsicher, ob ich mich noch einmal zu ihr hinunterbeugen und sie noch einmal küssen

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