Blackout
trinken, um ihren Kummer zu vergessen. Ich hab den Alkohol einfach geliebt.« Ich schaufelte mir noch mehr Couscous auf meine unglaublich effektive Plastikgabel. »Wenn Sie das glauben, wäre mein letzter Psychiater nicht besonders beeindruckt von Ihnen.«
»Der Letzte, der die Party verlässt«, sagte sie. »Sie waren also nicht gern allein mit sich selbst?«
»Und Schriftsteller. Ironie lass nach.« Ich schwenkte mein Weinglas und sah zu, wie die rotbraune Flüssigkeit über das Kristallglas lief. »Ich schätze, wenn das Leben einfach wäre, dann würde es nicht so viel Spaß machen.«
»Natürlich würde es das.«
»Ich glaube, diesen tollen Satz wiederkäue ich schon seit meiner Kindheit.«
»Schöne Kindheit?«
»Läuft die Uhr schon, Frau Doktor?«
»Ja, aber Sie haben mich zum Essen eingeladen, also berechne ich nur die Hälfte.«
»Ich war so eine Art Ersatzkind. Meine Eltern hatten eine Tochter verloren, ein Jahr, bevor ich zur Welt kam.«
»So etwas ist normalerweise ziemlich schwierig.«
»Ja? Dann ist dieses Kapitel in meiner Familie aber überblättert worden.«
»Also keine schlechte Kindheit?«
»Ich war ihr Hätschelkind. Bis ich fünf Jahre alt war, hat mich quasi ständig jemand auf dem Arm getragen.«
»Und Sie hierhin und dorthin gereicht.«
»Genau. Und bei Ihnen?«
»Meine Mutter ist vor kurzem gestorben.« Sie trank einen Schluck Wein. »Wir standen uns sehr nah. Mein Vater ist toll – er lebt in Vermont. Er wird im Herbst wieder heiraten.«
»Zwei behütete Kindheiten also. Wie erfrischend. Und hier sitzen wir jetzt, um die vierzig und immer noch Singles.«
Obwohl ich es leichthin gesagt hatte, verletzte meine Bemerkung sie zutiefst. Wie hatte ich nur so gedankenlos daherreden können! Ich stand auf, um die Teller abzuräumen, und bat sie, doch bitte sitzen zu bleiben. Sie sah zu, wie ich meinen Wein in die Spüle goss.
»Warum kaufen Sie so teuren Wein, wenn Sie ihn dann doch bloß weggießen?«
»Ich habe gesagt, dass ich Alkoholiker bin, aber nicht, dass ich schlechten Geschmack habe.« Ich wusch die Teller vor und belud die Geschirrspülmaschine, während Caroline weiter an ihrem Glas nippte und die Aussicht betrachtete. Wir machten ein bisschen Smalltalk, sogar überraschend angenehmen. Sie lebte in West Hollywood, in Crescent Heights. Hasste Katzen und Shoppen. Brauner Gürtel in Judo, den sie sich nach nur drei Jahren erworben hatte. Ich hatte ganz vergessen, wie herzerwärmend es ist, Gesellschaft zu haben.
Die restlichen
objet d’art
-Gabeln landeten bei ihren Genossen im Mülleimer, was ihr ein Lachen entlockte.
»Könnten Sie mir wohl diesen ähnlich affektierten Untersetzer rüberreichen?«
»Muss ich hier denn
alles
machen?« Lächelnd stellte sie ihr Glas ab und brachte mir den Untersetzer.
»Warum setzen Sie sich nicht auf das ruinierte Sofa im Wohnzimmer? Ich komme gleich nach.«
»Juniors Hund?« Sie wartete, bis ich widerwillig nickte. »Wo ist sie denn?«
»Ich hab sie im Obergeschoss in die Dekompressionskammer gesperrt.«
Sie wollte gerade nach nebenan gehen, da sagte ich: »Warten Sie noch mal kurz.«
Sie drehte sich um. Ihren Paschminaschal hatte sie über ihren Stuhl gehängt, und an ihrem schwarzen Hemd war noch ein Knopf aufgegangen, so dass man einen Streifen zarter Haut erkennen konnte. Zartes Schlüsselbein, hübscher, schlanker Hals. Das gedimmte Licht reduzierte ihre Narben zu Schatten, die zwar ausgeprägt waren, aber trotzdem eine gewisse Schönheit hatten. Sie akzentuierten die Komposition ihrer Gesichtszüge wie eine Kriegsbemalung, überdefinierten sie, verliehen ihnen mehr Kraft, mehr Anmut.
»Sie sehen phantastisch aus.«
Sie versuchte ein Lächeln zu unterdrücken – eine Schüchternheit, die ich bei ihr gar nicht erwartet hätte. »Sagte der tumorvernebelte Alkoholiker, der zeitweise an geistigen Aussetzern leidet.«
»Mit meinen Augen ist alles in Ordnung.«
Sie drehte sich weg, und ich sah ihr Lächeln im Profil. Als ich in der Küche fertig war, fand ich sie im Wohnzimmer vor dem Bücherregal, das mit meinen Büchern bestückt war.
Sie drehte sich um, als ich näher trat. »Wo ist denn
Die Sträflingskolonne?
«
»Hab ich unter ein Bein meines wackelnden Küchentischs geschoben.«
»Arbeiten Sie gerade an einem neuen Buch?«
»Jede Minute. Ich kann gar nicht mehr richtig zwischen meinem Leben und dem Schreiben trennen.«
»Sie leben also gerade eine Ermittlung?«
»Eine Geschichte. Das tun wir ja alle, aber
Weitere Kostenlose Bücher