Blackout
Rechnung später in der Bar niedriger zu halten. Sie werden während der gängigen Arbeitszeiten die Coffeeshops bevölkern – die Geschäfte im sonnigen L.A. profitieren ungemein von dieser Kundschaft, Müßiggänger, die sich die Zeit tagsüber für Vorsprechtermine freihalten wollen –, und sie werden die Jobvermittlungsseiten im Internet nach Stellen mit Nachtschichten durchkämmen, die es einfach nicht gibt. Stattdessen werden sie Jobs als Trainer und Kellner und Promoter bekommen, und dann murmeln ihre Freunde:
Das ist ja super, echt super.
Sie werden zu drittklassigen Unternehmern, die Handtaschen aus Bambus herstellen, Schmuck in Reseda entwerfen oder blauen Wodka in College-Bars vertreiben. Tagsüber
müssen
sie sich die Zeit für ihre Vorsprechtermine freihalten, die immer weniger und immer seltener werden, aber wenn sie schon kurz davor sind, die Hoffnung zu verlieren, kriegen sie plötzlich die Rolle der Laura in einer kleinen Theaterproduktion von »Die Glasmenagerie«, und das rechtfertigt dann noch ein paar weitere Jahre mit uneinträglichen Tätigkeiten. Und dann, wenn sie überhaupt nicht klüger geworden und nach Billings oder Sioux City zurückgegangen sind, wird ihnen irgendjemand eine weitere Fluchtmöglichkeit anbieten oder einen Streifen, in dem sie nackte Haut zeigen – natürlich kein Porno, sondern geschmackvolle Erotikfilme –, und damit beginnt die nächste Abwärtsspirale. Und mit jedem Bus kommt neues Frischfleisch an. Es ergießt sich aus dem Flughafen von L.A. und von den Autobahnen, Vieh für den Schlachthof, geschmückte Ochsen für den Opferaltar.
Als ich das
Flux
erreichte, musste ich mich erst einmal durch einen Pulk von Möchtegerns kämpfen, die die unbeschrifteten Metalltüren belagerten. Hier hat niemand einen richtigen Namen. Hier heißt jeder
Kumpel
oder
Süße.
Sie sichern sich ihre Position im Gedränge, indem sie mit ihren Freunden zusammenarbeiten, wie gemeinsam jagende Raubtiere, aber die können sie dann gar nicht schnell genug fallen lassen, sobald sie ihren ersten Piloten gebucht haben. Sie rufen den Türsteher bei seinem Vornamen, den sie irgendwo recherchiert haben. Der Bruder von ihrem Chef kennt den Barkeeper, oder der Chef ihres Bruders kennt den Besitzer. Sie blähen sich auf und schubsen die Umstehenden höflich beiseite, und ein munteres Mädchen mit einem Klemmbrett heuchelt Verzweiflung, obwohl sie ganz betrunken ist von der Wichtigkeit ihrer Position. Sie rügt die Drängler und verteilt Armbänder, als füttere sie Schimpansen im Zoo. Ein paar ältere Frauen, die in Aufmachung und Make-up kaum von Prostituierten zu unterscheiden sind, haben mit dem Alter ihre Zickigkeit aufgegeben; sie wissen, dass sie im direkten Wettbewerb nicht mehr mithalten können. Stattdessen wechseln sie die Strategie und heischen Unterstützung von der Zarin an der Tür.
Das arme Mädchen. Schau nur, wie sie ganz alleine mit der Menge fertigwerden muss. Nur zu, Schätzchen. Zeig’s ihnen.
Aber sie können ihr nicht genug Wohlwollen abschmeicheln, um durch die Tür zu kommen. Das Mädchen mit dem Klemmbrett kennt diesen Typ Frau nämlich, sie weiß, dass sie ihr in einem anderen Leben bei einem Vorsprechen den Rauch ins Gesicht geblasen oder beim nächtlichen Sortieren der Bewerbungen in der Casting-Agentur ihr Porträtfoto aussortiert haben.
Da die Schlangestehenden nun mal durch das Fegefeuer der Clubschlange durchmüssen, zanken sie sich und werfen Pillen ein und reden laut und beschönigend über die Entwicklungen in ihrer Karriere und tun ganz so, als wären sie nicht dort, wo sie sind, nämlich draußen in einer bitterkalten Nacht in Hollywood. Und dort werden sie weiterhin warten, Nacht für Nacht. Und eines Tages wird der Ruhm eine dieser unglücklichen Seelen auswählen und sie wie eine Priesterin auf die Spitze der Pyramide heben, und von da an wird sie nie wieder etwas von rotsamtenen Absperrseilen und Schlangen und Türstehern namens Ricky wissen – wird aber dafür sorgen, dass es alle andere sehr wohl noch wissen.
In meinem Kopf hörte ich Chics Stimme wie eine Alarmglocke:
Es ist immer einfacher, andere Leute zu analysieren.
Inwiefern war ich denn so anders als die anderen hier? Lag es daran, wie ich hierhergekommen war? Wo ich gelandet war?
Was sonst? Neid? Ich dachte, dem hätte ich ebenso abgeschworen wie dem Single Barrel Bourbon. Neid worauf? Ihre Vitalität? Ihre hoffnungsfrohe Art? Ihre Jugend? Wie Chic schon gesagt hatte, das Leben überholt
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