Blackout
Essensreste beim letzten Mal.
Er öffnete die Fliegengittertür. »Sind Sie jetzt völlig durchgeknallt?«
»Eine Jury, die sich aus meinesgleichen zusammensetzte, hat das offiziell so festgestellt.«
»Ihresgleichen gibt es überhaupt nicht, Sie Arschloch. Spucken Sie schon aus, was Sie zu sagen haben.«
Ich berichtete ihm alles, allerdings ohne Lloyd zu erwähnen. Sein Schweigen zeugte von seinem Interesse. Oder aber er war mit offenen Augen eingeschlafen.
Als ich fertig war, fragte er natürlich: »Wer hat den Fingerabdruck abgenommen?«
»Ich hab das Muster der Fingerbeere spontan wiedererkannt. Sie etwa nicht?«
Er zog eine Grimasse, augenscheinlich amüsiert von meiner schlagfertigen Antwort. »Sind Sie sicher, dass Sie diesen Fingerabdruck nicht selbst hinterlassen haben? In irgendeiner Art mystischer Trance, versteht sich?«
»Ich bin derzeit beglaubigte hundert Prozent gehirntumorfrei.«
»Abgesehen von Ihrer überschäumenden Phantasie.«
»Meine überschäumende Phantasie hat aber nicht das hier hervorbringen können.« Ich schüttelte die Tüte, für den Fall, dass sie ihm entgangen war.
»Es ist nicht gewährleistet, dass die Polizei das Beweisstück gefunden hat und es seitdem lückenlos …«
»Ich scheiß auf lückenlos. Die ganze Woche ist das Ding da vom Wind hin und her geweht worden, weil Ihre Kollegen es nicht gefunden haben. Es geht hier nicht darum, den Fall sofort abzuschließen und vor Gericht zu bringen, ich will einfach nur ein paar Fragen stellen. Und das werd ich auch tun.«
Er griff nach der Tüte, aber ich zog sie wieder weg.
»Geben Sie sie mir«, bat er. »Ich werde mich drum kümmern.«
»Hören Sie mal, mein Lieber, Sie hatten Ihre Chance, den Mordkommissar zu spielen, als ich gestern zu Ihnen kam. Aber da waren Sie leider ganz furchtbar damit beschäftigt, sich über die Gewalt in den Medien auszulassen. Also ist das jetzt die Ermittlung eines ganz normalen Bürgers. Ich werde Mr. Collins einen Besuch abstatten, und kein Gesetz kann mich davon abhalten. Wenn Sie gerne mitkommen möchten, könnte das für Ihre Karriere aber ganz nützlich sein, glaube ich.«
»Sie haben gesagt, Sie sind ein freier Bürger. Darf ich Sie kurz daran erinnern, dass Sie nur ein relativ freier Bürger sind?« Er streckte die Hand nach der Tüte aus, aber ich gab sie ihm nicht. »Sie Arsch sind wohl eisern entschlossen, oder?«
»Fahren Sie oder soll ich?«
Er starrte mich ungefähr zehn Sekunden lang an. Eine ganz schön lange Zeitspanne, vor allem, wenn man zurückstarrt. Ich hätte wetten können, dass er es sehr bedauerte, seine Knallharter-Typ-Sonnenbrille nicht aufzuhaben, um seinen Gesichtsausdruck abzurunden. Schließlich trat er von der Schwelle zurück und ließ die Tür als unausgesprochene Einladung aufschwingen. Auf dem Sofa hinter ihm konnte ich die Seiten meines Manuskripts sehen, die deutliche Gebrauchsspuren aufwiesen.
Er drehte sich um und ging ins Hausinnere. »Ich hol nur kurz meine Dienstmarke. Die wird Mr. Collins beeindrucken.«
Die Autobahn 118 , die von nostalgischen Gesetzgebern 1994 Ronald-Reagan-Autobahn getauft worden war, verläuft ganz unspektakulär durch das nördliche San Fernando Valley bis nach Simi. Cal starrte aus seinem Fenster, während Granada Hills als verwischter Streifen von eintönigen Einkaufszentren und Wohnhäusern vorbeirauschte. Wir machten einen Zwischenstopp bei der Polizei, wo er den Abdruck noch einmal überprüfen ließ. Als Richard Collins und seine Adresse in Northridge auf dem Bildschirm erschienen, warf Cal mir einen Blick zu und meinte trocken: »Scharfe Augen, Danner.«
Wir betrachteten das Panorama, das an unseren Autofenstern vorbeizog – im Grunde blieb es über Meilen hinweg immer das gleiche. Hinter der Stadt, jenseits der letzten Ausläufer klimatisierter Kühle, begannen Viertel, denen selbst noch der Glamour von städtischem Ödland fehlte, wie Crenshaw oder South Central oder Compton, wo eine Menge Geld gemacht wird und die Kugeln pfeifen und aufgemotzte Schlitten vor heruntergekommenen Wohnblöcken stehen. Ich fragte mich, ob die Leute, die hier draußen wohnten, die Fadheit dieser Gegend nicht auch hassten. Aber wenn man das ganze Jahr über Sonne hat, die haargenau richtige Niederschlagsmenge und dazu den Strand vor der Haustür, kann von Leiden nicht unbedingt die Rede sein.
Vielleicht war es das, was Richard Collins zum Mörder gemacht hatte. Eine Wohnung in Corbin und Parthenia.
Nach einer Weile
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