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Blade 02 - Nachtklinge

Blade 02 - Nachtklinge

Titel: Blade 02 - Nachtklinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jon Courtenay Grimwood
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und zog ihn zu den Gräbern hinauf. Der Cousin des Küsters hatte inzwischen eine Leiche gefunden. Das schon seit Jahren benutzte Grab war überfüllt. Lediglich eine hauchdünne Erdschicht bedeckte die freigelegte Hand.
    Beide Männer waren um die dreißig, verheiratet und würden bald Großväter werden. Sie hatten das Fischerhandwerk bei ihrem Onkel erlernt und gruben seit zehn Jahren Leichen aus. Damit konnten sie ihre schmalen Einkünfte deutlich steigern.
    »Die ist zu verwest«, sagte sein Halbbruder.
    Alte, verweste Leichen wies ihr Auftraggeber zurück. Er verlangte junge, frisch Verstorbene. Am liebsten wäre es ihm gewesen, die beiden hätten die Bestattungen nicht erst abgewartet, sondern ihm die am besten erhaltenen Leichen sofort gebracht. Bisher hatten sie seinen Drohungen und Bestechungsversuchen jedoch nicht nachgegeben.
    Eine einzelne Wolke hatte sich vor den Mond geschoben, die Arbeitsbedingungen waren ideal. Falls ein Fischer die beiden umherhuschenden Schatten auf der Armeninsel sah, würde er sich bekreuzigen, ein hastiges Ave Maria hervorstoßen und schleunigst davonrudern.
    Der Cousin des Küsters stieß den Spaten erneut in den Erdhügel. Er musste eine Weile graben, bevor er etwas fand.
    »Sei vorsichtig!«
    »Mach’s doch selbst.«
    Der Halbbruder schüttelte den Kopf.
    Der Cousin ließ sich auf die Knie fallen, legte den Spaten beiseite und wischte feuchte Erde von einem Gesicht.
    »Die hier sieht gut aus.«
    Die Erde gab die Tote nur langsam und mit einem leisen Schmatzen frei. Niemand wusste besser als ein Totengräber, dass Venedig von Wasser eingeschlossen war. Sie hatten die Tote kaum herausgehoben, als sich das Loch schon mit faulig riechender Brühe füllte. Dornenbüsche und wilde Rosen gediehen hier besonders üppig.
    »Ist sie in Ordnung?«
    Sein Halbbruder drehte ihren Kopf hin und her. Die Ohren waren unversehrt, also war sie keine Diebin, und die Zunge nicht herausgeschnitten, die Strafe für Verrat. Er hob nacheinander ihre Lider an. Sie hatte nichts gesehen, was sie nicht hätten sehen sollen.
    »Und der Körper?«
    Arme und Beine waren nicht gebrochen, ihre Haut wies kaum Totenflecken auf, obwohl man sie vor drei Tagen begraben hatte. Allerdings konnte sich keiner der beiden an das Mädchen erinnern. Da sie so weit oben lag, war sie sicher mit der letzten Tagesfuhre ins Grab gekommen.
    »Siehst du, ich habe doch gesagt, wir können ruhig drei Tage warten.« Sein Halbbruder hatte höchstens zwei Tage warten wollen, der Cousin des Küsters hatte jedoch auf drei Tagen Wartezeit beharrt. Da das Boot ihm gehörte, lag die Entscheidung bei ihm. Er schob das mit Erde verklebte Hemd der Leiche nach oben und grunzte dann ärgerlich.
    »Was ist?«
    »Erstochen!«
    Sie hatte eine Stichwunde in der Brust, schlimmer noch, ein kaum verheilter Schnitt lief quer von der linken Schulter zwischen den kleinen Brüsten hindurch zu ihrer rechten Hüfte.
    »Was meinst du?«
    »Also, ich finde, sie sieht noch gut genug aus.«
    Dr. Crow war ein anspruchsvoller Kunde: die Leichen durften weder zu dünn noch zu gezeichnet von Krankheiten sein. Gute Preise zahlte er lediglich für unversehrte Leichen.
    Kaiser Sigismund, erbitterter Feind Venedigs, hatte ein Kopfgeld auf den Alchemisten ausgesetzt, und ein anderer Gegenspieler der Serenissima, der byzantinische Kaiser, einen Mordanschlag auf ihn verüben lassen. Vom Papst war er als Ketzer exkommuniziert worden. (Der Papst hatte einst ganz Venedig exkommuniziert, aber es hatte niemandem geschadet.) Nur die Herrschaft und der Schutz der Millioni gewährten Dr. Crow Sicherheit.
    »Die ist mindestens drei Silberstücke wert.«
    »Und wenn er nur zwei bietet?«
    »Dann nehmen wir eben nur zwei. Oder hast du einen besseren Vorschlag?«
    Als der Korbschlitten, den er zum Ufer zog, plötzlich leichter wurde, dachte der Cousin des Küsters, die Leiche sei heruntergefallen. Er starb, ohne seinen Irrtum zu erkennen. Sein Halbbruder hatte nicht so viel Glück.
    Sie biss ihm die Kehle durch.
     
    Ihr Augenlicht hatte sich verändert, seit sie die Welt zum letzten Mal gesehen hatte. Die Farben wirkten intensiver und lebhafter. Alle ihre Sinne waren geschärft: Das modrige Grab, der sumpfige Schlamm und das Salzwasser rochen durchdringender. Sie wusste es instinktiv, wie ein Tier.
    Ihre Wiedergeburt war allmählich vor sich gegangen, ohne dass sie sich dessen bewusst gewesen war. In ihrem Körper hatten unsichtbare Finger ein neues Wesen aus ihr

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