Blade Runner Ubik Marsianischer Zeitsturz
er wusste, dass er nur einen kleinen Ausschnitt davon erfasste. Das bilde ich mir alles nur ein, dachte er. Die Welt wird nicht unter Eis und Dunkelheit begraben, das spielt sich nur
in meinem Inneren ab â und doch nehme ich es als äuÃere Realität wahr. Wie seltsam. Habe ich etwa das Universum in mir? Hat mein Körper es verschlungen? Und wann ist das geschehen? So muss es sich anfühlen, wenn man stirbt. Dieses Gefühl von Vagheit, dieses Absinken in die Entropie â so also geht das vor sich und das Eis, das ich um mich herum sehe, ist das Resultat dieses Prozesses. Wenn ich abtrete, verschwindet das ganze Universum. Aber was ist mit dem Licht, das ich sehen müsste, dem Eintritt in den neuen Mutterleib? Und wo ist der rauchige Schein kopulierender Paare, das dumpfe Glühen animalischer Gier? Alles, was ich erkennen kann, ist diese umfassende Dunkelheit und diese Abwesenheit von Wärme, diese erkaltete, von der Sonne im Stich gelassene endlose Fläche.
Das kann nicht der normale Tod sein, dachte er dann. Das ist unnatürlich â der Moment, an dem sonst die völlige Auflösung beginnt, wird von etwas anderem überlagert, von etwas Willkürlichem, Gewalttätigem. Vielleicht kann ich es besser verstehen, wenn ich mich einfach hinlege und entspanne, wenn ich neue Energie zum Nachdenken sammle.
»Was ist los mit Ihnen?«, fragte Chip, während sie mit dem Aufzug hinauffuhren.
»Nichts«, erwiderte Hammond. Möglich, dass es die anderen überstehen werden, dachte er, ich wohl nicht.
Schweigend fuhren sie weiter.
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Als er den Konferenzraum betreten wollte, merkte Chip, dass Hammond nicht mehr hinter ihm war. Er drehte sich um und blickte den Korridor hinunter: Weit hinten sah er ihn, wie er dastand und nicht mehr weiterging. »Was ist los?«, fragte er ein weiteres Mal. Hammond bewegte sich nicht. »Geht es Ihnen nicht gut?« Chip ging auf ihn zu.
»Ich bin müde.«
»Sie sehen schlecht aus.« Chip bekam ein mulmiges Gefühl bei der Sache.
»Ich gehe kurz auf die Toilette. Sehen Sie nach den anderen. Ich bin gleich wieder da.« Hammond schwankte den Korridor entlang, als würde es ihm Mühe bereiten, den Weg zu erkennen.
»Ich komme mit«, sagte Chip. »Nicht dass Sie uns zusammenklappen.«
»Vielleicht geht es wieder, wenn ich mir warmes Wasser ins Gesicht spritze.« Hammond fand schlieÃlich die gebührenfreie Toilettentür, öffnete sie mit Chips Hilfe und verschwand dahinter. Chip blieb auf dem Korridor stehen. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm, dachte er. Seit der Sache mit dem Aufzug ist er wie verwandelt. Aber wieso nur?
Hammond kam wieder heraus.
»Was ist los?«, fragte Chip, als er seinen Gesichtsausdruck sah.
»Schauen Sie sich das einmal an.« Hammond zog Chip in die Toilette und führte ihn zur Wand am hinteren Ende. »Hier sehen Sie Kritzeleien. Klosprüche. Wie man sie überall findet. Und das. Lesen Sie.«
In roter Schrift war zu lesen:
SPRINGT IN DEN TOPF
UND STELLT EUCH AUF DEN KOPF -
ICH LEBE NOCH UND IHR SEID ALLE TOT
»Ist das Runciters Schrift?«, fragte Hammond. »Können Sie das erkennen?«
»Ja.« Chip nickte. »Es ist Runciters Schrift.«
»Also kennen wir nun die Wahrheit.«
»Ist es wirklich die Wahrheit?«
»Offensichtlich.«
»Was für eine Art, das zu erfahren! Eine Kritzelei an einer Toilettenwand.« Chip fühlte Bitternis in sich hochsteigen.
»So sind diese Sprüche eben â deftig und unverblümt. Wir hätten monatelang vor dem Fernseher sitzen oder Zeitung lesen können, ohne irgendetwas herauszufinden. Wir hätten es nie so unmissverständlich erfahren wie hier.«
»Aber wir sind doch gar nicht tot. AuÃer Wendy natürlich.«
»Wir sind im Halbleben. Und womöglich befinden wir uns immer noch an Bord der Pratfall II , auf dem Weg zurück zur Erde â nachdem die Explosion uns getötet hat und nicht Runciter. Und er ist es, der versucht, Protophasen von uns aufzufangen. Bisher hatte er damit keinen Erfolg gehabt, wir sind von unserer Welt nicht in seine hinübergelangt. Aber letztlich ist es ihm gelungen, uns zu erreichen. Und nun treffen wir an allen möglichen Stellen auf ihn â sogar an solchen, die wir völlig willkürlich ausgesucht haben. Seine Gegenwart dringt von allen Seiten auf uns ein â ihn, ihn ganz allein, denn er ist der
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