Blanche - Die Versuchung
zu, bevor er die Tür hinter sich schloss. Erst nachdem Enzo sich ihr wieder zuwandte, bemerkte sie ihre weichen Knie. Noch mehr Überraschungen dieser Art und die Nacht wäre gelaufen.
Einatmen. Ausatmen. Du schaffst das. Konzentriere dich.
Später würde sie den Rolls-Royce unter den Nervenzusammenbrüchen bekommen, aber nicht hier und nicht jetzt.
„Ich möchte Marcel Wyss als Partner gewinnen“, unterbrach Enzo ihre Gedanken. „Ermuntere ihn dazu und du kannst so viele Häuser haben wie du willst.“
„Was soll das? Clubmanager bekommst du an jeder Straßenecke, wie genial kann er schon sein?“
Enzo hob eine Braue. „Marcel ist weit mehr als das, wie du sehr wohl weißt. Hier geht es um den Schweizer Markt, cara mia.“
„Lausanne ist doch ein Witz, das hinterletzte Kuhdorf – was zum Henker willst du damit?“
Seufzend schüttelte er den Kopf. „Meine liebe Blanche, Lausanne ist nur ein Hobby von Marcel. Seine Ferieninsel, wenn du so willst. Ihm gehören die großen Nachtclubs in Basel, Zürich und Genf. Außerdem ist er Teilhaber der lukrativsten Nachtlokale in Lyon und Nizza. Er wäre eine Bereicherung für unsere famiglia. Um ihm die Partnerschaft schmackhaft zu machen, werde ich ihm Marseille und Toulouse als zusätzliches Einzugsgebiet anbieten. Und ich erwarte, dass du mir dabei hilfst. Bisher konnte Marcel unabhängig agieren. Er hat heruntergekommene Nachtlokale gekauft, die von ihren Besitzern aufgegeben wurden. Hat sie von Grund auf saniert und Edelbars daraus gemacht.”
Klar wollte er Marcel mit seinem goldenen Händchen für prachtvolle Clubs. Neue Luxusschuppen bedeuteten mehr Alkohol, Prostitution, Drogen und mehr Einfluss. Es bedeutete Rückzugsgebiete und potenzielle Waffenlager. Aber dass Marcel eine so wichtige Schlüsselposition innehielt, war ihr neu. Hatte er das bewusst vor ihr geheim gehalten, als sie noch ein Paar waren? Ein Paar. Wie seltsam das klang. Ihr kam es vor, als würde diese Zeit Jahre zurückliegen statt wenige Wochen.
Sie fixierte Enzo. Warum jetzt? Es war kein Zufall, dass ihr Ex-Lover hereinschneite. Und wieso ausgerechnet Marcel? Wahrscheinlich, weil er Enzo nicht ins Gehege kommen würde. Marcel hatte keinen Ehrgeiz, in Paris einzumarschieren, und seine Zähne in das ohnehin hart umkämpfte Kapitol zu schlagen. Er war zufrieden mit seinem beschaulichen Leben in der Schweiz … oder? Wie viel wusste sie wirklich über ihn? Es war ja nicht so, als hätten sie sich gegenseitig ihr Herz ausgeschüttet.
Als sie vor fünf Jahren von Wayne ins Schweizer Exil geschickt worden war, hatte Blanche einen Job und einen Schießstand gesucht, um in Form zu bleiben. Nachdem Marcels Stellvertreter sie mehrmals abgewiesen hatte, lauerte sie eines Morgens seinem Boss auf, als dieser den Club verließ. Nachdem sie mit seinen Bodyguards den Boden aufgewischt hatte, stellte er sie ein. Ob ihm ihr effizienter Stil gefiel oder die Tatsache, dass ein junges Mädchen, das kaum eins fünfundsechzig groß war, ausgewachsene Jungs vermöbelte, die sich für harte Kerle hielten, wusste sie nicht. Am nächsten Abend steckte er sie in ein elegantes Abendkleid und setzte sie als Empfangsdame seines Edelschuppens ein, der genaugenommen nur das Vorzimmer seines Kasinos darstellte. De facto war sie so etwas wie eine Türsteherin und kannte die Schwarze Liste, die von Monte Carlo bis Las Vegas reichte, auswendig. Wenn sich ein ungebetener Gast Eintritt verschaffen wollte, war es ihre Aufgabe gewesen, ohne großes Aufsehen dafür zu sorgen, dass er verschwand und nicht wiederkam. Falls bezahlte Kravallmacher vorbeischauten, um Marcels Kundschaft nachhaltig zu verschrecken, musste man allerdings mehr vorweisen als einen festen Händedruck und gute Ratschläge. Da sie eine ausgezeichnete Ausbildung genossen hatte, waren ihr die Maßnahmen bekannt, einen unerwünschten Besucher außer Gefecht zu setzen, ohne die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich zu ziehen. Als Erstes hatte sie dafür gesorgt, dass er die Klappe hielt. Dazu reichte ein flüchtiger Schlag auf den Kehlkopf, den sie ausführte, während sie so tat, als wollte sie ihm etwas zuflüstern. Danach durfte sich der Gast nicht mehr bewegen, was sich bei Männern meist mit einem beherzten Griff in ihre cojónes regeln ließ. Natürlich gab es professionellere Methoden, wie zum Beispiel einen Gyakuzuki auf den Solarplexus oder die Nervendrucktechnik, besser bekannt als Spock-Griff. Hierbei fielen die Betroffenen jedoch unmittelbar
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