Blanche - Die Versuchung

gebunden sind, nicht an einen Geist. Darum leiden sie mehr als alle anderen in der Hölle, und eben das macht sie so gefährlich. Genau wie die Liés brauchen sie einen Wirtskörper, um sich auf der Erde nach Einbruch der Dunkelheit zu materialisieren. Dazu besetzen sie einen Menschen, ziehen ihn sich wie einen Handschuh über. Die Erinnerungen und Erfahrungen ihres Opfers mildern die Wut über die Jahrhunderte der Höllenqualen. Das hilft einigen Dämonen , ihren Zorn zu zügeln, hat allerdings die Nebenwi r kung, dass sie einen Großteil ihrer Kräfte einbüßen.
    Bei den Liés ist der Hass auf die Welt und alles Lebendige ungebrochen. Gleichzeitig sind ihre Kräfte noch völlig intakt. Die Liés wurden seit Äonen eingesetzt , die geflohenen , erdgebundenen Dämonen entweder zu vernichten oder zurück zu Saetan zu bringen. Als einzelner Dämon hat man gegen die Liés keine Chance, es sei denn, man ist ein Erzdämon.“
    Jetzt war sie sicher, dass die Großfürsten zu den Liés gehörten. Der pfe r defüßige Marbueel war halb wahnsinnig vor Wut gewesen und der rothaarige Barfuel, der wie ein kleiner Rotzlümmel aussah, stand seinem Kumpel in Sachen Cholerik & Co. in nichts nach. Einzig Arziel hatte einigermaßen ziv i lisiert gewirkt, aber er war ihr Anführer und besaß somit ungleich mehr Macht als seine Vasallen.
    „Wie kann man sich davor schützen von einem dieser Viecher besetzt zu werden?“, fragte sie als Leos Whisky serviert wurde.
    „Um den Zugriff eines Dämons abzuwehren, darf dein Geist nicht zu bändigen sein, sonst bist du angreifbar“, erwiderte er, nahm einen Schluck und schloss die Augen. „Die alten Dämonen haben gelernt , die Energie der Materie zu bezwingen , und sie nach ihrem Willen zu formen. Die Mächtig s ten unter ihnen können auch die Energie in uns Menschen zähmen und sie sich zu eigen machen.“ Als sich seine Lider wieder hoben , ruhte sein Blick schwer auf ihr. Für einen Moment sah er uralt aus, älter , als es für einen Menschen möglich sein konnte.
    „Du brauchst einen starken Willen , um es mit ihnen aufnehmen zu kö n nen, doch dafür musst du mit dir im Reinen sein.“ Er beugte sich ein wenig vor und seine Stimme wurde zu einem Flüstern. „Kannst du das von dir behaupten, Leonie?“
    Anscheinend war der Tag noch nicht beschissen genug, darum musste er noch einen draufsetzen.
    „Innere Konflikte und emotionale Zerrissenheit sind ein Festessen für di e se Biester“, führte er aus. „Dort schlagen sie ihre Krallen hinein und irgen d wann kriegen sie dich.“ Er schüttelte den Kopf und stürzte den Rest de s Single Malts h in unter. „Am Ende kriegen sie jeden“, murmelte er und hielt dem Barmann sein leeres Glas entgegen.
    Na toll, das hatte ihr noch gefehlt. Ein besoffener Waffenschieber, der ihr unter die Nase rieb, was sie absolut nicht draufhatte. Emotionale Zerrisse n heit, ja? Sie war eine Killerin, wie zur Hölle sollte sie mit sich ins Reine kommen?
    Während Leo sich eine dieser gelben Zigaretten ansteckte, winkte Blanche den Barkeeper zu sich. Sie brauchte jetzt ebenfalls etwas Stärkeres – und einen Themenwechsel.
    „Können alle Dämonen Familiares erzeugen?“, fragte sie , nachdem ihr E s presso serviert wurde.
    Leo wiegte den Kopf hin und her. „Kommt darauf an , wie mächtig sie sind. Auf die Fürsten trifft das in jedem Fall zu. Mit Hilfe des dritten N a mens binden sie ihre menschliche Diener an sich und besiegeln das Ganze mit einem Pakt. Mit diesem Band wächst ihre Macht, aber sie stärken auch Saetan, der den Löwenanteil erhält.“
    „Den dritten Namen?“
    Leo stieß bedächtig den Rauch seiner Gitanes aus. „Jede Seele erhält drei Namen, bevor sie – als was auch immer – geboren wird. Der Lichtname ist der erste, der Rufname der zweite und der Schattenname der dritte.“
    „Habe ich auch einen Schattennamen?“
    Leo nickte. „Den hat jeder, deinen hast du dir sogar selbst gegeben.“
    Blanche starrte ihn verständnislos an, dann dämmerte es ihr. „Erienne“, flüsterte sie.
    Leo nickte abermals. Der Codename, unter dem ihre Auftraggeber sie e r reichen konnten. Der Name, mit dem sie mordete. Plötzlich verstand sie, warum Miceal sie immer Leonie nannte. Das musste dann wohl ihr Lichtn a me sein.
    „Trotz allem darfst du nicht vergessen, dass es sich bei Dämonen um E n gel handelt, die bei der Erschaffung des Universums mitgewirkt haben. Sie hatten einen Plan für uns, doch ihr Gebieter entschied dagegen. Daraufhin