Blanche - Die Versuchung
handelte er auf eigene Rechnung?
Ein dunkler Kinnbart versteckte einen Teil der Narben, auch das war neu. Den grimmigen Ausdruck um seinen Mund dagegen kannte er gut. Wie es aussah , freute er sich nicht , ihn zu sehen.
„Nun?“, fragte Tchort mit einer Stimme, die klang, als hätte er sie lange nicht benutzt. „Jetzt hast du mich also gefunden. Was willst du?“ Sein zorn i ger Ton machte ihn stutzig, dann begriff er.
„Du hast jemand anderen erwartet.“ Zum Beispiel Blanche.
„Und wenn, was geht es dich an, Seneschall ? “ Das letzte Wort spie er förmlich aus, wobei er aus dem ‚schall’ ein ‚chall’ machte.
Beliar war verwirrt. Diese zwei Minuten mit Tchort hatten sein ganzes Konzept durcheinandergebracht. Wie es aussah , galt sein Auftritt in Chartres Blanche, nicht ihm. Er war als Botschaft an seine Tochter gedacht, nicht an seinen einstigen Freund. W as hatte das zu bedeuten? War es als Falle für Blanche geplant? Zwar stand Tchort im Moment nicht unter Saetans Zwang, was jedoch nicht automatisch bedeutete, dass er nicht für ihn arbeitete. Vie l leicht war das hier eine Feuerprobe für den Schwarzen Gott. Wenn er in den Stand eines Erzdämons erhoben werden wollte, mus s te er Opfer bringen. So , wie Abraham seinen Sohn darbringen sollte, könnte Saetan ihn dazu zwingen, ihm Blanche zum Fraß vorzuwerfen.
Ausgeschlossen. Zum Schutz seiner Tochter war er überhaupt erst zum Verräter geworden, ein Abtrünniger wie er selbst. Von Saetan verfolgt, gejagt von dessen Höllenfürsten. Darüber hinaus hatte er Wayne einen Blutschwur geleistet , Blanche mit seinem Leben zu beschützen. Den konnte er nicht brechen, selbst wenn er wollte.
Aber hieß das automatisch, dass Blanche nichts vo n ihm zu befürchten hatte? Bei all den strategischen und politischen Überlegungen durfte er nicht vergessen, wie wertvoll Nachkommen für Vollblutdämonen waren. Dass Tchort überhaupt in der Lage war , ein Kind zu zeugen , grenzte an ein Wu n der. Er gehörte zu den ältesten Dämonen und war ein paar tausend Jahre älter als er selbst, was bedeutete, dass er zeugungsunfähig sein musste. D a von abgesehen waren sie Dämonen und konnten nichts Lebendiges erscha f fen. Dennoch besaß er eine Tochter.
Beliar ließ den Blick über Tchorts schlanke Gestalt wandern. Blanche sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Einzig das rabenschwarze Haar hatte sie von ihm, sowie die blasse Haut. Ihre zarte Gestalt, die blauvioletten Augen und den sinnl i chen Mund musste sie von ihrer Mutter haben. Doch manchmal konnte das Offensichtliche täuschen.
Er schloss die Augen, sog langsam die Luft ein und nahm Witterung auf. Etwas stimmte nicht, aber das hatte er schon vorher gewusst. Diese Sache stank zum Himmel und verpestete seine Sinne. Hier waren größere Mächte am Werk, und er stand zu dicht davor, sah nur einen kleinen Teil des K o kons, den jemand um seine Bàn Lumez, seine Gefährtin, gesponnen hatte. Er musste einen Schritt zurücktreten, um das ganze Bild zu betrachten. Die Lüge, die Tchort umgab, war geradezu greifbar. Er war Teil eines Plans, in dem sie ebenfalls eine Rolle spielte. Womöglich stand sie im Zentrum eines von Saetan inszenierten Komplotts, in das nicht nur sie, sondern auch die anderen Dämonenkinder involviert waren.
Bei dem Gedanken an seine Gefährtin zog sich sein Herz zusammen. Ein Gefühl, an das er sich noch gewöhnen musste, denn bis vor wenigen W o chen hatte er nicht gewusst, dass er so etwas wie ein Herz überhaupt besaß.
Blanche. Wann hatte ihn das letzte Mal ein Mensch in dieser Weise b e rührt? Das war leicht zu beantworten, denn in seinem Leben hatte es vor ihr nur eine Frau gegeben. Und die wurde ihm von seinem Schöpfer als Strafe für seinen Ungehorsam genommen. Welche Ironie des Schicksals, dass ta u send Jahre später ausgerechnet Saetan hinter der Frau her war, die er mehr liebte als sein eigenes Leben.
Doch diesmal würden sie seine Bàn Lumez nicht in die Finger bekommen. Er würde dafür sorgen, dass sie sicher war, selbst vor ihrem Vater.
Zeit , herauszufinden, was es mit Tchorts mutmaßlichem Verrat auf sich hatte, und inwiefern Blanche in diese Sache verwickelt war.
Am späten Nachmittag machte sich Blanche auf den Weg, um bei den Ki n dern in der Rue Saint-Jean nach dem Rechten zu sehen. Sie hatte eine unr u hige Nacht verbracht und sich bis zur Morgendämmerung hin - und hergewälzt. Zwischendurch hatte sie immer wieder versucht, sich ihrer akt u ellen
Weitere Kostenlose Bücher