Blanche - Die Versuchung
ausgeblichen und vergilbt. Über die Jahre hatte er es so oft in die Hand genommen, dass die unteren Ecken abgegriffen und verknickt waren. E r besaß nur dieses eine Bild und es zeigte nicht einmal seine Gelie b te. Für sie konnte er nichts tun – zumindest noch nicht. Aber das würde sich ä n dern.
Er bedauerte die Jahre des Zorns nicht. Ein Jahrzehnt des Wütens, das weite Teile des Ostens verwüstet hatte. Sein Hass war grenzenlos gewesen, und darüber hatte er vergessen, was ihm geblieben war, eine Tochter. Seine Geliebte war verloren, aber das Kind hatte eine Chance verdient. Leonie.
Tchort betrachtete das Bild, das ihn und das Neugeborene kurz nach der Geburt zeigte. Er kannte jede Schattierung des Fotos, dennoch wurde er nicht müde , es sich anzusehen.
Das Baby lag in seinen Armen, doch weder schrie noch schlief es. Es blic k te zu im auf, neugierig. Erwartungsvoll. Woher nahm ein so kleines Wür m chen einen derartigen Ausdruck? Ihr Blick war … wissend. Damals waren die Augen mehr violett als blau gewesen, doch ihren eindringlichen Chara k ter hatten sie nicht verloren. Sie sah wie ihre Mutter aus und keine Hölle der Welt konnte schlimmer sein als diese bittere Erkenntnis.
Vorsichtig strich sein Daumen über ihre Wange, als sich eine Träne löste und auf der glänzenden Oberfläche des Bildes landete. Er schloss die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Das hatte er doch schon alles hinter sich. Jetzt war nicht die Zeit , Schwäche zu zeigen, er musste stark sein. Für seine Geliebte, die Saetan als Geisel genommen hatte. Für sein Kind, das der Te u fel sich ebenfalls nehmen wollte und für sich selbst.
Sein Plan stand fest . S tellte sich die Frage , ob sein einstiger Weggefährte seinen Teil des Paktes erfüllen würde. Für einen Erzdämon war Beliar noch jung. Er selbst zählte mehr als dreimal so viele Jahre, dennoch respektierte er den einstigen Seraphen. Tatsächlich hatte sie einmal eine Freundschaft ve r bunden, denn der Junge besaß einen unbändigen Willen, der ihn beeindruckt hatte. Als Aestaroh, der Herr des Westens, ihn damals im Auftrag des Te u fels angeworben hatte, war Tchort nicht überzeugt gewesen, dass ein Diener des Lichts den Posten eines Erzdämons ausfüllen konnte. Doch er hatte sich geirrt. Gründlich, wie er feststellen musste. Alle hatten sich in ihm geirrt, an erster Stelle Saetan. Der Teufel glaubte , seinen neuen Gefolgsmann zu ko n trollieren. Er war schon immer ein arroganter Bastard gewesen. Er dachte, dass Beliar aus Hass handelte, dabei war das Gegenteil der Fall. All der Zorn, die Erbarmungslosigkeit und sein Rachedurst war en das Ergebnis eines g e brochenen Herzens gewesen. Er selbst hatte es erst verstanden, als ihm seine geliebte Frau genommen wurde. Kein kaltes Herz könnte eine derartige E nergie aufwenden , um die zu betrauern, die es verloren hatte. Er wusste , wovon er sprach, ihm war das Gleiche passiert.
Doch im Gegensatz zum Herrn des Nordens war ihm etwas aus der B e ziehung geblieben, ein Kind. Wenn er auch sich nicht retten konnte, so hatte Leonie eine Chance verdient.
Wind kam auf, strich über sein Gesicht und zerzauste sein Haar. Erneut schloss er die Augen und flüsterte den Namen seiner Geliebten. Das Foto steckte er zurück in die Innentasche des Gehrocks. Er wusste, was er zu tun hatte.
Während des Rückflugs aus den Banlieues spürte Beliar, wie Saetans Druck auf ihn ein wenig nachließ. Der Griff lockerte sich, gleichzeitig nahm er eine Verschiebung wahr. Augenblicklich verwandelte sich sein Blut in Eiswasser und er taumelte in der Luft.
Saetan hatte Blanche gefunden.
Er ließ ihn wissen, dass er ihren Aufenthaltsort kannte, und dass sein ein s tiger Warlord nichts gegen seinen Zugriff unternehmen konnte. Er war zu weit weg, das würde er niemals rechtzeitig schaffen.
Und der Teufel genoss seinen Schmerz.
Eine Flut von Bildern schob sich vor sein inneres Auge. Æywyn, die ihr Haar zurückwarf, wenn sie lachte. Blanche, die sich im Schlaf an ihn schmiegte und zärtlich seinen Namen flüsterte. Æywyn, mit einem Knüppel in der Hand, als sie ihre Geschwister vor einem plündernden Soldaten ve r teidigte. Blanche, mit ihren gezückten SIGs in der Rue d ’ Orsei. Æywyn, die ihren letzten Atemzug ausstieß. Blanche mit verrenkten Gliedern und leeren Augen. Ihr Blut über die Zimmerwände verteilt, ihr Atem für immer versiegt.
Hass explodierte wie eine Granate in seinem Kopf, und dann war da nur noch Leere.
Beliar
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