Blanche - Die Versuchung
zum Gare du Nord!“
Als er darauf nicht reagierte , fing sie an , sich gegen seinen Griff zu wehren, obwohl das Schwachsinn war. Wenn er sie fallen ließ , wäre ihr auch nicht geholfen, aber irgendwas musste sie tun. Wie zu erwarten hätte sie sich das Gehampel sparen können. Beliars Gesicht war zu einer eisernen Maske g e schmolzen, er würde seinen Willen durchsetzen, da konnte sie sich wehren , wie sie wollte.
Zähneknirschend warf sie einen Blick zurück und sah das brennende Ritz immer kleiner werden. Aus der Ferne wirkte es wie ein flackernde s Streic h holz, flankiert von den roten und blauen Lichtern der Einsatzfahrzeuge. Am Ende waren sie durchgedru n gen, aber sie kamen zu spät. Wie immer. Die Menschen der oberste Etage w a ren tot, wer hätte die Detonation auch übe r leben können?
Als Beliar auf dem Dach von Marcels Villa im sechzehnten Bezirk landete, konnte sie gar nicht schnell genug von ihm fortkommen. „Du arroganter Bastard!“, brüllte sie. „Ich wollte zum Bahnhof, nicht in diese gottverdam m te Einöde!“
„Die drei Großfürsten sind zurück.“
Er trat auf sie zu, und sie bemerkte, dass seine Narben wieder deutlicher hervortraten. Das bedeutete Gefahr, und sie versuchte , ihre Wut zu zügeln, obwohl sie beinahe daran erstickte.
„Sie sind mächtig“, grollte er. „Eine solche Kraft habe ich noch nie zuvor an ihnen gespürt. Darum wirst du hierbleiben, hast du verstanden! Das ist nicht der Moment , um deinen Kopf durchzusetzen. Hier bist du erst mal sicher, und Marcel wird dich mit seinem Leben beschützen.“
„Du bist doch nicht ganz dicht!“, schrie sie außer sich. „Ich will mit dir kommen, was glaubst du, wer du bist?“
Ein weiterer Schritt, und er befand sich direkt vor ihr. Sie stand mit dem Rücken gegen einen Kamin, und als er ihre Arme ergriff, gab es für sie kein Entkommen. Über ihr braute sich ein Gewitter zusammen, dunkle Wolken türmten sich vor einem sichelförmigen Mond auf, der ihr noch nie so hell vorgekommen war. Hier draußen war es eiskalt, doch Zorn und Angst wärmten sie. Angst, dass er sie zurücklassen würde, diesmal endgültig. Und Zorn, dass sie nichts dagegen unternehmen könnte. Wenn er sich umdrehte und einfach davonflog, konnte sie ihn nicht daran hindern. Das Gefühl der Hilflosigkeit schlug wie eine Welle über ihr zusammen, dann hörte sie das erste Donnergrollen.
„Ich bleibe verdammt noch mal nicht hier, während du die Drecksarbeit erledigst“, rief sie gegen den peitschenden Wind an.
„Genau das wirst du tun“, knurrte er . „Ich konnte sie gerade so abhängen, aber es war knapp. Jetzt werde ich sie suchen und die Sache endgültig bee n den.“ Sein Griff wurde fester, der Blick seiner grauen Augen eindringlicher. „Hast du verstanden? Es endet heute Nacht!“
„Dann lass mich dir helfen.“ Ein schreckliches D é j à- vu Gefühl überfiel sie. Vor wenigen Wochen hatten sie die gleiche Situation im Keller der Rue d’Orsei. Sie sollte gehen – er wollte bleiben , um zu kämpfen. Diesmal nicht. Damals hatte sie geglaubt, dass sie den Schmerz nicht überstehen würde, sollte sie ihn verlieren. Heute wusste sie, dass sie daran zerbrechen würde.
„Du kannst mich nicht jedes Mal in die Vitrine stellen, wenn es brenzlig wird“, rief sie. „Ich bin kein Pokal, den man wegpackt, damit er keine Delle bekommt, sobald es holprig wird. Ich bin ein Mensch aus Fleisch und Blut, und …“
… ich will kämpfen, wollte sie sagen, doch Beliar zog sie an sich, und der Blick, mit dem er sie bedachte, ließ sie verstummen. Seine Augen spiegelten den Sturm wieder, der um sie herum tobte. Ihre waren weit aufgerissen und er las den Schrecken darin. Angst. Nackte, pure Angst. Nicht um sich, so n dern um sein Leben.
„Blanche“, flüsterte er. „Ich werde ewig leben , egal was passiert, während du …“
Er beendete den Satz nicht. Stattdessen drückte er sie fester an sich. Die Wärme seiner angespannten Muskeln drang durch ihre dünne Wachsjacke. Sie musste sich auf die Lippe beißen, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Das hier lief nicht gut. Warum musste sie sich ausgerechnet in einen Dämon verlieben? Wie konnte sie es überhaupt so weit kommen lassen?
Liebe. War es das, was sie empfand? In dem Fall hä t te sie ein schlechtes Geschäft gemacht. Zorn fühlte sich zehn Mal, ach was, hundert Mal besser an als der sengende Schmerz, der sich in diesem Augenblick durch sie hindurchfraß. Beliars Lippen berührten ihr Ohr, und
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