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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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Lizzie bereits vor Jahren erzählt, dass sie nie genau erfahren hatte, woran ihr Bruder gestorben war; ihre Eltern, die inzwischen ebenfalls beide tot waren, hatten nie mit ihr darüber sprechen wollen.
    »Könnte es das gewesen sein?«, drängte Lizzie.
    »Ich weiß es nicht.« Angelas Gesicht war blass. »Möglich ist es, nehme ich an.«
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    »Finde es heraus, ja?« Lizzie wusste, dass sie schroff klang, aber sie konnte sich nicht helfen.
    »Im Ernst?«, fragte Angela.
    »Ja, sicher.«
    »Würde es denn etwas ausmachen, wenn wir es wüssten?«
    »Nein.« Es war Christopher, der Angela antwortete. »Es würde keinen Unterschied machen. Nicht für Jack.«
    Lizzie starrte ihn mit wirrem Blick an. »Aber vielleicht täuschen sie sich«, sagte sie. »Vielleicht war das, woran James gestorben ist, etwas Ähnliches wie bei Jack, aber nicht genau dasselbe. Vielleicht ist es etwas, gegen das man inzwischen ein Mittel gefunden hat.«
    »Sie irren sich nicht, Lizzie«, sagte Christopher sanft.
    »Und auch wenn die Möglichkeit besteht, dass man
    irgendwann ein Heilmittel entdeckt – noch gibt es keins.«
    In diesem Augenblick hasste Lizzie ihn aus tiefstem Herzen, so wie sie zuvor schon von brennendem Hass gegen Anna Mellor erfüllt gewesen war.
    »Ich habe sie schon vor zwei Jahren darauf angesprochen«, hatte sie im Wartezimmer des Genetikers zu Christopher gesagt.
    »Ich habe sie gefragt, ob mit ihm alles in Ordnung ist, und sie sagte, es ginge ihm bestens … es gebe nichts, weswegen ich mir Sorgen machen müsste.«
    Christopher antwortete, er habe Anna kurz zuvor angerufen, als Lizzie mit Jack auf dem Klo war, um ihr genau diese Frage zu stellen: Anna hatte gesagt, sie habe damals sofort an DMD
    gedacht und Jacks Waden nach Vergrößerungen untersucht, was bei Kleinkindern oft ein Warnzeichen sei.
    »Sie sagte, seine Beine hätten normal ausgesehen«, sagte Christopher zu Lizzie. »Was sie unglaublich erleichtert habe.«
    »Wie schön, dass Anna erleichtert war«, entgegnete Lizzie giftig.
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    »Die ganze Geschichte nimmt sie sehr mit, und sie sorgt sich um uns alle«, sagte Christopher. Dann fügte er mit ruhiger Stimme, aber tiefem Schmerz hinzu: »Ich habe es auch nicht gesehen, Lizzie. Und wenn doch, habe ich vorgezogen, es zu ignorieren.«
    »Hast du?«, fragte sie ihn heftig. »Hast du es gesehen?«
    »Ich sah unseren hübschen kleinen Jungen, der nicht so sportlich war wie sein älterer Bruder.« Christopher bemühte sich, ehrlich zu sein. »Ich wusste, dass er später anfing zu laufen als andere, und ich sah seine Schwierigkeiten, nach einem Ball zu treten und zu rennen und zu springen, und ich sah, dass er manchmal ein wenig unbeholfen wirkte, aber ich sagte mir, es mache nichts, solange er glücklich und gesund ist.«
    »Ich auch«, sagte Lizzie.
    »Aber ich bin Arzt.«
    »Plastischer Chirurg«, sagte Lizzie aus Freundlichkeit.
    Doch sie war in ihr Hass-Stadium eingetreten, und dieser Hass zielte in alle Richtungen: auf Anna Mellor, weil sie es nicht gleich festgestellt hatte, auf den Kinder-Neurologen, weil er es festgestellt hatte, auf alle Eltern in den Wartezimmern, deren Söhne nicht DMD hatten, auf Christopher – auch wenn sie ihm das Gegenteil versicherte –, weil er die Anzeichen nicht erkannt hatte.
    Dann wurde ihr klar, dass eigentlich Christopher allen Grund hatte, ihr Vorwürfe zu machen, wenn es darum ging, Schuldzuweisungen zu machen.
    Schließlich war es ihr defektes Gen.
    Doch er tat nichts dergleichen, weder an diesem Abend noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt. Auch in den finsteren Stunden, als Jacks künftiger Albtraum sich zu entfalten begann, blieb er der zärtlichste Ehemann, den man sich vorstellen konnte. Christopher begriff, unter welchen irrationalen und doch vielleicht 88
    unvermeidlichen Schuldgefühlen Lizzie litt, und seine Liebe und Fürsorge für Jack, Edward und Sophie war umfassend.
    Doch eines änderte sich. Christopher konfrontierte Lizzie jetzt wieder offen mit seinen perverseren sexuellen Bedürfnissen, die er lange Zeit unterdrückt hatte.
    »Die Therapie«, erklärte er ihr, »hat eher den Schwerpunkt verlagert, sie ist mir keine große Hilfe mehr. Und ich will niemals zu jemand anderem als zu dir, Lizzie. Ich habe durchzuhalten versucht, aber ich bin nicht so stark wie du. Und so beschämend es ist … ich scheine das zu brauchen. Deshalb habe ich dich gebeten, dass du versuchst, meine Gefühle zu verstehen.«
    Lizzie konnte die Bedürfnisse ihres Mannes zwar

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