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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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getan und große Dummheiten gemacht, und wenn ich bleiben würde, müsste ich mich wahrscheinlich einem Prozess stellen und käme ins Gefängnis. Da ich dein großes Herz kenne, weiß ich, dass die Chance besteht, dass du mir irgendwann vergeben würdest; vielleicht würdest du mich vor Gericht unterstützen, mich sogar im Gefängnis besuchen, und das könnte ich nicht ertragen, dafür bin ich viel zu selbstsüchtig. Anders als deine wundervolle Mutter, die mich schon vor langer Zeit hätte bestrafen lassen können, stattdessen aber bei mir blieb und mich weiterhin ertragen hat.
    Ihr alle, meine geliebten Kinder, aber besonders du, mein tapferer Sohn, habt mir sehr viel beigebracht, und ich wünsche aus ganzem Herzen, ich könnte für immer bei dir bleiben. Aber das ist jetzt nicht mehr möglich. Ich werde dich immer lieben, Jack, und ich bete, dass du irgendwann nicht mehr allzu schlecht von mir denkst. Doch falls du mir nicht verzeihen kannst, verstehe ich auch das – ich habe jedes Recht verwirkt, etwas anderes zu erwarten.
    Er unterschrieb den Brief und klebte den Umschlag zu. Jetzt war er ein wenig ruhiger. Doch dann erschreckte ihn der Lärm von Sirenen auf der Straße, und er ließ Brief und Kugelschreiber fallen und wartete starr vor Angst, bis das Geräusch in der Ferne verschwunden war.
    Diesmal hatten die Sirenen noch nicht ihm gegolten, doch die Zeit lief ihm davon.
    Er zitterte wieder, als er in Lizzies Arbeitszimmer ging und alle Umschläge auf ihren Schreibtisch legte, damit kein anderer sie entdeckte.
    Dann nahm er seine Tablettensammlung, seine Lieblingsfotos von Lizzie und den Kindern und verließ die Wohnung.

105.
    Clare war zum Fluss gelaufen.
    Sie saß auf einer Bank am Wasser, ein paar Meter von einem der Restaurants auf Butler’s Wharf entfernt.
    Es war kälter, als sie erwartet hatte, und sie war erschöpft – im Dunkeln über die Brücke und durch die Shad-Thames-Gasse zu laufen, hatte sie die letzte Kraft gekostet. Aber sie hatte in etwa gewusst, wohin sie wollte, wo sie sitzen und warten wollte.
    Bis man sie fand.
    Oder bis es endete.
    Was immer zuerst geschah.
    Sie versuchte, ihre Schmerzen zu ignorieren, während sie auf den Fluss starrte und sich die Dunkelheit unter der Wasseroberfläche ausmalte.
    Sie fühlte, wie das Blut aus ihr rann, und ließ es geschehen. Sie lachte nicht, noch weinte sie.
    Sie ließ einfach los.

106.
    »Verdammt«, sagte Allbeury, als er in seinem Wohnzimmer im Shad Tower stand. »Wo ist sie bloß? Keine Nachricht, gar nichts?«
    »Du bist immer auf der Suche nach Nachrichten«, bemerkte Novak ironisch. »Nach Erklärungen.«
    Allbeury ignorierte ihn. Er versuchte nachzudenken, wo er Lizzie sonst noch finden könnte – er hatte bereits in Holland Park und Marlow angerufen und Gilly vorgelogen, es sei nichts Wichtiges.
    Er hatte an Susan Blake gedacht, den Gedanken jedoch gleich wieder verworfen und sich auf den Weg nach Hause gemacht, um mit dem Portier zu sprechen.
    »Meine Schicht hat gerade erst angefangen«, erklärte der Mann ihm. »Aber wenn es dringend ist – ich weiß, wo Dernot hingegangen ist.«
    »Es ist dringend«, sagte Allbeury. »Rufen Sie mich zurück.« Er atmete tief durch. In Novaks sonst so freundliches Gesicht hatten sich Zorn und Angst eingegraben. »Setz dich, Mike.«
    Novak wollte schon den Kopf schütteln, ließ sich dann aber in einen Sessel sinken. Er sah aus wie ein Boxer ohne Kampf.
    »Einen Drink?«, bot Allbeury an.
    »Nein.«
    »Kaffee?«
    »Nein.«
    Allbeury schaute auf das Haustelefon, dann auf seine Armbanduhr. Fast sieben. Wo war sie?
    Er ging vor den großen Glastüren auf und ab und starrte hinaus in die Dämmerung, ohne etwas zu sehen.
    Plötzlich verharrte er und stand einen Augenblick regungslos da. Dann öffnete er die Türen und trat hinaus auf die Terrasse. Er nahm das Teleskop und richtete es nach unten auf die Promenade, schwenkte weiter nach links, folgte dem Verlauf der kleinen Fußgängerbrücke über St. Saviour’s Dock und über die Flusspromenade.
    Da.
    Er fixierte eine kleine Gestalt und stellte das Glas scharf.
    Eine Frau saß allein auf einer Bank auf der Butler’s Wharf, vor dem Gastrodome.
    »Clare«, sagte er laut und durchdringend.
    Im Wohnzimmer sprang Novak aus dem Sessel.
    »Da unten«, sagte Allbeury.
    Beide Männer rannten los.

107.
    Lizzie hatte es geschafft – so gut es mit ihrem schmerzenden Arm und den geschwollenen Fingern möglich war –, sich in die Hocke zu setzen, die Knie

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