Blankes Entsetzen
gegen die Schmerzen gegeben. Allmählich wurden ihr die Augenlider schwer.
»Mit ›schlimm‹«, sagte Keenan, der befürchtete, dass sie gleich einschlief, »meinen Sie, dass jemand in Gefahr ist?«
»Vielleicht.« Helen nickte. »Und wenn ich könnte, wenn ich nicht wegen dieses verdammten Beins hier liegen müsste, wäre ich jetzt unterwegs zu Novaks Wohnung. Dann würde ich noch einmal in die Detektei fahren, und wenn ich auch dort niemanden anträfe, würde ich versuchen, Allbeury wieder zu finden.«
Keenan zog sein Notizbuch hervor. »Adressen?«
Helens Augen schlossen sich. »Andererseits«, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen, »liegt die Sache jetzt in Ihren Händen, und dieses Zeug bringt meinen Kopf gerade sehr angenehm zum Summen …«
Keenan legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Geben Sie mir die Adressen, Helen.«
110.
»Ich sollte dich wirklich hineinbringen«, sagte Novak zu Clare, »ins Warme.«
»Nein.«
»Es ist zu kalt hier draußen.« Er stand auf und versuchte, sie auf die Füße zu ziehen.
»Nein«, sagte sie wieder. »Ich will hier bleiben.«
»Okay«, gab er nach und kuschelte sich an sie. »Der Krankenwagen muss gleich hier sein, und bald geht es euch wieder gut. Euch beiden, dir und unserem Baby. Du musst keine Angst haben, okay, Schatz?«
»Dem Baby wird es nicht gut gehen«, sagte sie.
»Doch. Mach dir keine Sorgen.«
»Das Baby stirbt«, sagte Clare. »Vielleicht ist es auch schon tot. Und ich mache mir keine Sorgen, Mike, weil ich genau das will.«
Er war sicher, sich verhört zu haben. Dann aber lachte sie.
Delirium, sagte er sich und klammerte sich an diesen Strohhalm.
Doch ihr Lachen klang harsch. Spröde.
»Ja, so ist es.« Sie warf einen kurzen Blick auf sein Gesicht, blieb aber an ihn gelehnt sitzen. »Ich meine es ernst, Mike. Genauso ernst wie letztes Mal, als ich unser Baby getötet habe.«
»Du hast es nicht getötet«, sagte Novak. »Ich habe es dir tausend Mal gesagt, Schatz, es war nicht deine Schuld.«
»Doch, war es.« Die Finger von Clares linker Hand schoben sich zwischen zwei Knöpfe und um den Saum seines Hemds; sie krallte sich in den Stoff wie ein kleines Kind, klammerte sich fest. »Unser Sohn ist nicht einfach gestorben, Mike. Er hatte keine Atemprobleme. Jedenfalls nicht so, wie du dachtest …«
»Clare, hör auf damit.« Ohne sie loszulassen, drehte er sich um und blickte in die enge Seitenstraße, hielt Ausschau nach blauen, blinkenden Lichtern, obwohl er keine Sirenen hörte.
»Ich habe so sehr gehofft«, fuhr Clare fort, »dass es vorher stirbt. Ich habe gebetet, dass ich eine Fehlgeburt bekomme.«
All die dunkle Kälte des Flusses schien sich in seinem Innern auszubreiten. Ganz langsam drehte er sich wieder zu ihr um und sah sie an.
»Aber es geschah nicht. Also musste ich selbst dafür sorgen.«
Er entzog sich ihr, doch ihre Finger blieben in sein Hemd verkrallt.
»Tut mir Leid«, sagte sie mit einer Stimme, in der nicht das geringste Bedauern lag. »Es tut mir wirklich Leid, Mike, aber es ist Zeit, dass du es erfährst, findest du nicht?«
Er glaubte, wollte glauben, dass er verrückt geworden war oder dass er einen Albtraum erlebte.
Doch er sah in ihren Augen – kalte Augen, die nichts mit jener Clare zu tun hatten, die er seit Jahren kannte und liebte –, dass sie die Wahrheit sagte.
Allbeury war die Shad Thames entlanggerannt, vorbei an der Kochschule, der Skulpturen-Galerie und dem Pizza Express. Er passierte das Anchor-Brauhaus und rannte die Treppen zur Brücke hinauf, wobei er immer drei Stufen auf einmal nahm. Auch auf der Tower Bridge verlangsamte er das Tempo kaum. Auf der anderen Seite des Flusses war es ebenso sinnlos, ein Taxi zu suchen; der Verkehr war unbeschreiblich. Die East Smithfield war viel länger, als ihm bewusst gewesen war – aber er lief ja sonst auch nie vom Shad Tower zur Detektei. Allbeury warf einen Blick zurück über den Fluss zur Butler’s Wharf und fragte sich, ob der Krankenwagen bereits da war und was mit Clare geschehen sein mochte.
Er erreichte die Dock Street und bog nach links ab, völlig außer Atem vom schnellen Laufen.
Fast geschafft.
»Lizzie Piper sagte, sie wollte mir helfen, unser Baby zu retten«, sagte Clare. »Das war sehr nett von ihr, wenn man bedenkt, was ich ihr angetan habe.«
Gerade hatte ihr eine weitere, noch heftigere Schmerzattacke den Atem geraubt, und sie lachte und weinte zugleich, schaukelte unablässig vor und zurück, die Arme fest um den Leib
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