Blankes Entsetzen
angezogen, den rechten Arm darumgelegt.
Sie fror immer mehr.
Und ihre Angst nahm zu.
Sie sagte sich, dass es unnötig sei, sich so sehr zu fürchten; schließlich sei das Schlimmste bereits geschehen: Sie war einen Fahrstuhlschacht heruntergefallen und hatte überlebt. Jetzt musste sie nur noch warten, bis Hilfe kam.
Die Kinder.
Clare sagte, sie habe es für die Kinder getan.
Gemordet.
Aber ihre Kinder waren bei Gilly in Sicherheit, und Christopher – wo immer er sein mochte – würde nicht zurück nach Marlow fahren, nicht nach dem, was letzte Nacht geschehen war. Und die verschwundene Clare Novak befand sich bestimmt noch in London, eine kranke Frau, die vielleicht eine Fehlgeburt gehabt hatte. Es gab also keinen Grund, Angst um Jack, Edward und Sophie zu haben.
Und wenn niemand kommt?
Natürlich kommt jemand, widersprach sie sich heftig. Es war Hysterie, etwas anderes zu denken. Mike Novak arbeitete in diesem Gebäude. Es war zwar später Freitagnachmittag, doch er hatte die Detektei in einem solch chaotischen Zustand zurückgelassen, dass er vor dem Wochenende bestimmt noch einmal herkam. Und selbst wenn Novak oder Robin nicht zurückkamen – irgendjemand würde kommen: die Putzfrau, oder vielleicht die Polizei.
Oder Clare.
108.
Novak war zuerst bei Clare. Er setzte sich schweigend neben seine Frau und legte die Arme um sie, zart und beschützend. Auf ihrem Gesicht lag ein schimmernder Schweißfilm, deutlich zu sehen im Licht der Straßenlaternen. Dennoch zitterte sie.
»Dir ist kalt«, sagte er, zog seine Lederjacke aus und legte sie ihr um die Schultern.
Sie lächelte ihn an. Dann verzerrte ein Krampf ihr Gesicht.
Er begriff.
»Das Baby?«, fragte er und versuchte, seine Panik zu unterdrücken.
Sie antwortete nicht, schaukelte nur schmerzerfüllt vor und zurück.
Novak drehte sich zu Allbeury um, der wartend hinter ihnen stand. »Kannst du einen Krankenwagen rufen? Ich hab mein Handy vergessen.«
»Gleich«, sagte Allbeury.
»Sofort«, sagte Novak. »Geh in ein Restaurant.«
»Einen Moment.« Allbeury kam von hinten um die Bank herum und setzte sich auf Clares andere Seite. »Wo ist Lizzie?«, fragte er.
»Robin, sie muss ins Krankenhaus!«, sagte Novak und zog sie dichter an sich.
Clare lächelte wieder.
»Wo ist sie, Clare?«, fragte Allbeury.
»Lass sie in Ruhe, du Mistkerl«, sagte Novak, »und hol Hilfe.«
Clare wandte sich Allbeury zu.
»Lizzie ist im Büro«, sagte sie.
»In welchem Büro?«, fragte Allbeury.
»In unserem«, sagte sie.
Allbeury stand auf, das Handy in der rechten Hand, und wählte die Notrufnummer.
»Ich sage es ihnen auf dem Weg zum Auto«, verkündete er und lief los.
Novak drehte sich zum Shad Tower um, der schimmernd in die Dunkelheit ragte und die umgebauten Werftschuppen wie Zwerge aussehen ließ. Dann blickte er in Richtung Tower Bridge und sah unzählige Bremslichter, da die Autos immer noch Stoßstange an Stoßstange standen.
»Es geht schneller, wenn du läufst«, rief er.
Allbeury hob zustimmend die Hand, bog in die Curlew Street ab und war verschwunden.
109.
Jim Keenan war vor zehn Minuten im St. Thomas eingetroffen – er war zufällig in der Nähe gewesen, in der Waterloo Station, als Helen anrief. Man hatte sie gerade erst geröntgt, und was sie ihm erzählte, war ein wirres Durcheinander. Trotzdem versuchte er sein Bestes, schlau daraus zu werden.
»Sie müssen langsamer sprechen«, sagte er zu ihr. »Wenn ich Sie recht verstanden habe, hat jemand Sie niedergeschlagen und ist eine Treppe hinuntergeflohen …«
»Sie müssen richtig zuhören«, unterbrach Helen ihn ungeduldig. »Sein Name ist Christopher Wade, aber das ist jetzt nicht wichtig.«
»Ein Angriff auf eine Polizeibeamtin ist wichtig«, sagte Keenan.
»Aber nicht jetzt .«
»Und was wollen Sie mir sagen? Dass Allbeury in die Morde verwickelt ist, aber nicht direkt ?«
»Ich sage, dass er versucht hat, mir etwas zu erzählen, was Novak nicht hören sollte. Wahrscheinlich deshalb, weil er meint, dass Novak und vielleicht auch seine Frau etwas damit zu tun haben.«
»Also geht es hier immer noch größtenteils um ein Bauchgefühl?«, fragte Keenan.
»Wahrscheinlich«, sagte Helen, »nur dass es jetzt offenbar nicht mehr nur mein Bauchgefühl ist, sondern auch Allbeurys. Und wenn Sie sein Gesicht gesehen hätten, hätten Sie gewusst, dass dort etwas Schlimmes vor sich ging – etwas Neues, verstehen Sie?«
Man hatte sie in ein Krankenzimmer gelegt und ihr ein Mittel
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