Blankes Entsetzen
aus seinen Augen, verdrängt durch einen unverblümten Anflug von Zorn. »Ich wusste nicht, dass du so hart sein kannst, Lizzie.«
»Dann«, sagte sie, »kannte bisher offenbar keiner von uns den anderen so gut, wie wir dachten.«
Als Lizzie einige Zeit später feststellte, dass sie wieder schwanger war, gab sie sich alle Mühe, eine Abtreibung in Erwägung zu ziehen, fand es jedoch unmöglich.
Ein Bruder oder eine Schwester für Edward und Jack.
Freude verdrängte die Bestürzung.
Und so blieb ihre Ehe bestehen. Lizzie, die Christopher gegenüber immer noch misstrauisch war, trauerte um das Ende ihres Vertrauensverhältnisses und war zugleich erleichtert, dass er offenbar tat, was sie von ihm verlangt hatte. Von Zeit zu Zeit fragte sie ihn, ob er seine Therapie noch mache, und wenn er sagte, er sei in Behandlung, stellte sie keine weiteren Fragen. Sie verspürte nicht den geringsten Wunsch, mehr darüber zu wissen, und es war gesünder für das, was von ihrer Ehe noch übrig war, wenn sie ihm zumindest einen Hauch von Selbstachtung ließ.
Außerdem hatte sie ihre Jungs und ihr ungeborenes Baby, auf die sie ihre Aufmerksamkeit richten musste.
Im Frühjahr darauf brachte sie Sophie zur Welt. Eine zierliche, sanftmütige Tochter mit goldenem Haar und dunkelblauen Augen, hineingeboren in das scheinbare Ideal, das die Familie Wade nach außen hin darstellte. Christopher war voller Euphorie und blieb ihren Kindern – Lizzie hatte nie den leisesten Zweifel, dass diese Seite an ihm vollkommen aufrichtig war – ein liebender, hingebungsvoller Vater.
Im September diesen Jahres, sechs Monate nach Sophies Geburt – und nachdem Dr. Hilda Kapur, ihre Hausärztin in Marlow, ihr ein Rezept für die Pille ausgestellt hatte –, schlief Lizzie zum ersten Mal wieder mit Christopher. Sehr zaghaft und vorsichtig, wenn Lizzie bedachte, was sie in ihrer unwissenden Vergangenheit miteinander geteilt hatten. Doch Christopher schien so glücklich und dankbar, dass Lizzie sich sagte, Verzeihen müsse der richtige Weg sein – um ihrer ganzen Familie willen –, und das Glück, wenn auch in schwächerer Form, könne wieder in Reichweite rücken.
Und dann, fünf Monate später, brach die Welt der Familie Wade zusammen.
12.
Wie sich herausstellte, war Tony Patstons Versprechen, sich künftig zu beherrschen, das er an Irinas erstem Geburtstag gegeben hatte, Lug und Trug gewesen. Im Gegenteil trank er immer mehr. Seine wachsende Alkoholabhängigkeit betrachtete er als Ausgleich für das, was er zunehmend als Quell seiner Probleme sah: den kleinen Kuckuck in seinem Reihenhaus-Nest. Ohne Alkohol fühlte Tony sich reizbar und nicht fähig, mit seinen Geldproblemen und dem unaufhörlichen Kreischen dieses Kuckucks fertig zu werden. Hatte er jedoch ein paar Pints intus, fühlte er sich eher zu Großmut fähig – war dann aber nicht imstande, nach den ersten Bieren aufzuhören, sodass die guten, positiven Empfindungen bald darauf vom Alkohol davongeschwemmt wurden, sodass Tony sich in einem dichten Nebel der Wut wiederfand.
Er schlug das Kind regelmäßig. »War nur ein Klaps«, behauptete er. »Und nicht mal mit ’nem Gürtel, wie mein Vater es bei mir getan hat.«
Ein kaum geringeres Übel, soweit es Irina und ihre Mutter betraf. Wenn Joanne die Schläge hörte oder gar sah, schrumpfte ihr Magen vor Zorn zu einem kleinen harten Ball zusammen, und der Wunsch, auf Tony loszugehen oder wenigstens ihre Gefühle hinauszuschreien, überwältigte sie. Doch sie hatte diesem Wunsch bisher zwei Mal nachgegeben, und beide Male hatte Tony sich an dem Kind gerächt – mit richtigen Schlägen.
»Das ist deine Strafe«, sagte er zu seiner Frau, als Irina vor Schmerzen schrie.
»Du Bastard«, rief Joanne schluchzend.
Er hob die rechte Hand. »Willst du, dass ich ihr noch eins verpasse?«
»Nein!«, schrie sie. »Wenn du schon jemanden schlagen musst, dann schlag mich!«
Tony ließ die Hand sinken. »Ich will dich nicht schlagen«, sagte er.
Joanne hatte den brennenden Wunsch, ihn anzuzeigen oder es zumindest jemandem zu erzählen, ihrer Mutter oder Nicki von nebenan, doch sie wusste, dass es nicht möglich war. Sie wusste so gut wie Tony, dass sie das niemals tun würde, niemals tun konnte, weil dann die Wahrheit herauskam und man ihr ihr kleines Mädchen wegnehmen würde.
Vielleicht, überlegte sie manchmal, wäre das besser für Irina.
Nein, antwortete sie sich selbst dann jedes Mal. Es wäre nicht besser. Irina liebt dich, weil du ihre
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