Blankes Entsetzen
drei Kindern. Aber aus ihrem Innern, aus ihrem jetzt schon verkrampften Körper und ihrem stockenden Herzen war bereits jede Leichtigkeit verschwunden.
»Ich glaube«, sagte Mrs Connor, »er hat möglicherweise ein Problem.«
»Was für ein Problem?«
Hör nicht hin, Lizzie.
»Erstens«, sagte die andere Frau, »glaube ich, dass er nicht springen kann.«
»Ja, er ist ein bisschen ungelenk. Eine Sportskanone wird er wohl nie«, sagte Lizzie.
»Nein, Mrs Wade«, sagte Christine Connor. »Ich will damit sagen, Jack kann nicht springen. Ich habe ihn beobachtet – es ist, als wären seine Füße am Boden festgeklebt, wenn er es versucht.« Sie hielt inne. »Haben Sie das nicht bemerkt?«
Nein. Versteck dich weiter.
»Doch«, sagte Lizzie leise. »Habe ich.«
»Da ist noch etwas«, fuhr die Pädagogin fort.
Lizzie fühlte sich (oder glaubte zumindest, sich so zu fühlen) wie ein Gefangener, der auf der Anklagebank saß und darauf wartete, dass der Richter sein Urteil verkündete – mit dem möglichen Ausgang Tod durch Erhängen. Sie wollte Christine Connor sagen, dass sie schweigen solle, kein Wort mehr sagen solle, aufhören solle, Jack zu beobachten, weil er schließlich Lizzies Kind war, nicht ihres, und es ging ihm bestens.
»Die Art und Weise, wie er aufsteht, wenn er auf dem Boden gesessen hat.«
Po zuerst, die Hände auf die Beine gestützt.
»Ja«, sagte Lizzie wieder.
»Dann haben Sie es also auch bemerkt, Mrs Wade?«
»Ja.«
Lizzie wusste, die Frau wartete darauf, dass sie etwas sagte, vielleicht eine Frage stellte oder einen Vorschlag machte, wie eine kompetente Mutter es tun sollte. Aber dazu schien sie in diesem Augenblick nicht fähig zu sein.
»Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass es nichts ist«, sagte Christine Connor.
»Aber Sie gehen nicht davon aus«, sagte Lizzie.
»Ich glaube, Sie sollten mit dem Arzt sprechen.«
Die Angst, die an diesem Morgen zum ersten Mal an die Oberfläche stieg, war seither nie wieder verschwunden.
Lizzie war auf direktem Weg nach Hause gefahren, um mit Gilly zu sprechen.
»Ich hatte gehofft, es mir nur einzubilden«, sagte Gilly.
»Da bist du nicht die Einzige«, erwiderte Lizzie und rief Christopher an. Der ließ, wie erwartet, alles stehen und liegen, übergab zwei Operationen einem anderen Chirurgen, vertagte eine HANDS-Versammlung, sprang in seinen BMW und fuhr auf der A40 – zu langsam, wegen des Verkehrs – und dann auf der M40 – zu schnell – nach Marlow.
Als Jack aus dem Kindergarten zurück war, verbrachten seine Eltern die nächsten vierundzwanzig Stunden damit, jeden seiner wachen Momente – und auch viele seiner schlafenden – mit einem wachsenden Gefühl der Angst akribisch zu beobachten.
»Warum tut ihr das?«, fragte Edward einmal.
»Was, Schatz?«, fragte Lizzie.
»Jack so angucken«, sagte der Sechsjährige, der die dunklen Haare und Augen seiner Großmutter mütterlicherseits geerbt hatte.
»Das tun wir doch gar nicht, Liebling«, log seine Mutter.
»Wir sehen ihn deshalb so an«, sagte sein Vater mit der natürlichen Offenheit, die Kinder seiner Ansicht nach am liebsten hatten und die ihn, wie Lizzie zugeben musste, zu einem besonders talentierten Vater machte, »weil wir glauben, dass Jack vielleicht krank ist.«
»Wie eine Erkältung, meinst du?«, fragte Edward.
»So ähnlich«, antwortete Christopher, der keinen Grund sah, seinem älteren Sohn Angst zu machen, solange noch die Chance bestand, dass alles sich als harmlos erweisen könnte. Und dafür betete er inbrünstig.
»Okay«, sagte Edward und hatte schon das Interesse verloren.
Das war für lange Zeit das Letzte, das gut gelaufen war, erinnerte sich Lizzie. Denn ihre Beobachtungen – und anschließend eine ungewohnt ernste Anna Mellor in der Londoner Praxis – bestätigten, dass Jacks Oberschenkelmuskeln schwächer waren, als sie hätten sein dürfen, und dass er darüber hinaus Schwächen im Bereich der Hüfte und der Schultern zeigte.
»Was meinst du?«, fragte Lizzie die Kinderärztin nach der Untersuchung, während Jack im Zimmer nebenan mit einer Arzthelferin spielte.
»Ich meine«, sagte Anna Mellor, »Jack sollte zu einem Spezialisten.«
»Warum?«, fragte Lizzie. »Was glaubst du denn, was mit ihm nicht stimmt?«
Christopher sah sie daraufhin mit einem Blick an, in dem so viel Mitleid und Verzweiflung lagen, dass sie das Gefühl hatte, das Blut würde ihr in den Adern gefrieren.
»Wir müssen abwarten, Liebling«, sagte er sanft.
Und
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