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Blankes Entsetzen

Blankes Entsetzen

Titel: Blankes Entsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Norman
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leise«, sagte sie.
    »Natürlich«, sagte er. »Ich bin schließlich kein völliger Idiot, auch wenn du das denkst.«
    »Ich denke nichts dergleichen«, sagte sie. »Ich bin einfach nur müde, und dass Irina geweckt wird, kann ich jetzt am wenigsten gebrauchen.«
    »Weil ich das ja immer tue, nicht wahr?«
    »Nein, natürlich nicht.« Sie wusste bereits, was passieren würde, und hätte sich erwürgen können, dass sie nicht den Mund gehalten hatte.
    »Weil es immer ich bin, und nur ich, der sie zum Weinen bringt, stimmt’s?«
    »Fang nicht an, Tony«, sagte Joanne leise. »Bitte.«
    »Ich habe gar nichts angefangen«, sagte er. »Ich bin in halbwegs guter Laune nach Hause gekommen! Ein einziges Mal in diesem verdammten Misthaufen, in den mein Leben sich verwandelt hat!«
    Er stand schon an der Treppe, den Fuß auf der ersten Stufe, und Joanne wusste, dass es zu spät war, ihn aufzuhalten. Sie hätte ihn ohnehin nicht aufhalten können, außer vielleicht, indem sie ihm etwas Schweres an den Kopf warf – und an so etwas hatte sie in den letzten paar Jahren mehr als einmal gedacht.
    »Bitte.« Mehr sagte sie nicht.
    So schlimm war es noch nie gewesen. Zum ersten Mal wusste Joanne, dass ihr keine andere Wahl blieb, als ihr kleines Mädchen in eine Decke zu wickeln und ins Krankenhaus zu fahren, um sicherzugehen, dass Tony die Kleine nicht ernstlich verletzt hatte.
    »Du bist ein Ungeheuer«, sagte sie beinahe ruhig zu ihm, bevor sie aus der Tür ging.
    »Ich konnte nicht anders«, sagte er mit bleichem Gesicht und lehnte sich taumelnd an die Wand neben der Haustür. »Sie ist aufgewacht, hat nur einen Blick auf mich geworfen und wieder losgekreischt, und da …«
    »Halt den Mund, Tony.« Joanne öffnete die Tür. »Ich will nichts hören.«
    »Sie hasst mich, Jo. Ich hab’s dir gesagt.«
    »Komm her, Liebes«, sagte Joanne zärtlich zu Irina, die schwer und jetzt erschreckend still in ihren Armen lag.
    »Es tut mir Leid«, sagte Tony. »Es tut mir schrecklich Leid.«
    »Fahr zur Hölle«, sagte Joanne über die Schulter.
    »Wie fühlst du dich jetzt, Schätzchen?«, fragte sie ihre Tochter, als sie ihren Fiesta vorsichtig Richtung Waltham General Hospital steuerte.
    »Ganz gut, Mami.« Eine kleine, traurige, tapfere Stimme.
    »Es tut mir sehr Leid, Irina«, sagte Joanne. »Ich hab dich ganz lieb.«
    »Ich habe dich auch lieb, Mami.«
    Joanne wischte sich mit der rechten Hand die Tränen ab. Sie biss sich fest auf die Unterlippe, um nicht die Beherrschung zu verlieren, und konzentrierte sich aufs Fahren, während sie Ausschau nach dem Krankenhausschild hielt.
    »Schätzchen«, sagte sie. »Du musst mir jetzt zuhören, okay?«
    »Ja, Mami.«
    »Die Krankenschwestern und Ärzte in dem Krankenhaus werden dich wahrscheinlich fragen, wo du dir wehgetan hast, Süße, ja?«
    »Ja, Mami.«
    »Gut. Du darfst nicht sagen, dass es etwas mit Daddy zu tun hatte, ja?«
    Irina, die auf der Rückbank in ihrem Kindersitz angeschnallt war, schwieg.
    »Schatz? Alles in Ordnung?«
    »Ja, Mami.« Wieder sehr leise.
    Joannes Hände krampften sich um das Lenkrad. »Wenn du ihnen etwas über Daddy erzählst …«
    »Wird er wieder böse auf Rina«, sagte das kleine Mädchen.
    Joanne schluckte weitere Tränen hinunter. »Schlimmer als das, mein Liebes.« Es kostete sie viel Kraft, ihre Stimme halbwegs fest klingen zu lassen. »Die Ärzte würden vielleicht versuchen, dich Mami wegzunehmen, und das könnte Mami nicht ertragen.«
    »Lass sie Rina nicht wegnehmen, Mami.« Jetzt lag Panik in der kleinen Stimme.
    »Bestimmt nicht, meine Kleine.« Joanne sah das Schild und bremste. »Ich verspreche es dir.« Sie kräftigte ihre Stimme. »Niemand wird dich mir wegnehmen. Niemals. Du musst den Leuten im Krankenhaus nur sagen, dass du hingefallen bist. Okay, Baby?«
    »Okay, Mami.«
    »Ich hab dich lieb, mein Schatz.«
    »Ich hab dich auch lieb, Mami.«
    In diesem Moment schaute Joanne in den Rückspiegel, erwischte einen Blick in ihre eigenen Augen und wusste, dass sie sich noch nie so sehr gehasst hatte.
    Bis zu dem Moment in der Notaufnahme, als sie der ersten Krankenschwester von Irinas »Sturz« erzählte und die dunklen Augen des Mädchens sah. Es lag eine solche Leere darin, dass sie am liebsten geschrien hätte. Oder sich in eine Ecke gekauert hätte, um zu sterben.
    Sie glaubten ihr. Und was unendlich viel wichtiger war – Tony hatte Irina keinen ernsthaften körperlichen Schaden zugefügt. Keine inneren Verletzungen.
    Es gab keine

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