Blankes Entsetzen
unangenehmen Fragen. Nur Hilfe und Mitgefühl, für Irina und für sie.
Joanne ließ den Fiesta stehen, wo sie ihn geparkt hatte, und brachte Irina in einem Taxi nach Hause, sodass sie während der ganzen Fahrt mit ihr schmusen konnte, sie trösten, sie loben, ihr sagen, wie sehr sie sie liebte, und versuchen, versuchen, sie ein klein wenig zu beruhigen.
Und ihre Tochter klammerte sich auf dem Rücksitz des Taxis fest an sie. Aber sie sagte nichts mehr, kein einziges Wort, auf dem gesamten Weg nach Hause.
Und Joanne schämte sich unendlich.
17.
Zwischen Lizzie und Susan Blake hatte sich schon vor Jahren, auf der allerersten Promotion-Tour für die Spaß- in-der-Küche -Buchreihe, gegenseitige Bewunderung und eine innige Freundschaft entwickelt. Susan, inzwischen eine der Direktorinnen von Vicuna, war damals Juniorverlegerin gewesen und hatte die Aufgabe gehabt, für Lizzie Pipers Wohlergehen und Zufriedenheit zu sorgen, damit diese allen Verpflichtungen in ihrem Terminkalender nachkommen konnte. Nach dem ersten Tag der Tournee, an dem so ziemlich alles schief gegangen war, was schief gehen konnte, war es dann aber Lizzie gewesen, die Susan – eine hübsche, schlanke Brünette von damals zweiundzwanzig Jahren – nötigte, sich mit ihr an die Bar ihres Hotels in Manchester zu setzen und einen Whiskey zu kippen, um für eine Weile sämtliche Bücher und Termine zu vergessen.
»Es ist bloß ein hochgejubeltes Kochbuch«, sagte Lizzie.
»Es ist ein wundervolles Buch«, widersprach Susan.
»Aber keine große Literatur«, sagte Lizzie und bestellte ihnen beiden einen zweiten Drink.
»Das hier sollte eigentlich auf Vicuna gehen«, sagte Susan.
»Das hier ist privat«, erwiderte Lizzie. »Von mir für dich, um Danke zu sagen.«
»Wofür?«, fragte Susan. »Es ist doch alles schief gegangen.«
»Ohne dich wäre ich ein bibberndes Wrack gewesen«, sagte Lizzie.
»Ich habe gebibbert«, gestand Susan.
»Das hat man dir aber nicht angemerkt«, beruhigte Lizzie sie und lehnte sich zurück, um ihren Whiskey zu genießen. »Machen wir uns nichts vor, wir sind beide fantastisch.«
»Unschlagbar.« Susan hob ihr Glas. »Du bist ein Star, Lizzie Piper.«
»Vielen Dank.« Lizzie fühlte sich plötzlich sehr glücklich. »Der nächste Drink geht auf Vicuna.«
»Wir dürfen das Abendessen nicht vergessen«, sagte Susan. »Eine meiner Pflichten besteht darin, zu verhindern, dass die Autoren sich hemmungslos besaufen.«
»Geht in Ordnung«, sagte Lizzie. »Ich verhungere sowieso schon.«
»Du liebst Essen, nicht wahr?«
»Werde ich nicht genau dafür bezahlt?«
»Letztes Jahr habe ich einen Gartenbuch-Autoren kennen gelernt. Er sagte, er könne es kaum erwarten, in eine Stadtwohnung zu ziehen, damit er nie wieder Rasen mähen oder Unkraut jäten muss.«
Lizzie dachte darüber nach. »Man kann auch leben, ohne Gras zu stutzen oder Rosen zu beschneiden. Aber ohne Essen stirbt man.«
Lizzies ernsthafte Beziehung zum Essen hatte in ihrer Schulzeit begonnen: In der Anfangsphase der Depressionen ihrer Mutter waren die Mahlzeiten für Lizzie zu einem unkomplizierten Trostspender geworden. Während ihrer allzu kurzen Zeit in Sussex hatte diese Beziehung sich intensiviert. Sie lief schon Gefahr, pummelig zu werden, als sie Denis Cain begegnete, einem attraktiven Englisch-Kommilitonen, der sehr auf seinen Körper achtete. Durch Denis lernte Lizzie, die Reize der gemächlichen Essensvorbereitungen und des Kochens zu genießen. Indem sie mit Denis zusammen auf dem Markt und – wenn sie es sich leisten konnte – in den besseren Geschäften von Rittingdean und Brighton einkaufen ging, begriff Lizzie, welchen Einfluss die Qualität der Zutaten auf Geschmack und Konsistenz von Speisen hatte. In noch stärkerem Maße wurde ihr dies klar, als sie die eigene Fantasie einsetzte, allmählich mutiger wurde und immer mehr von den Rezepten aus den Büchern und Zeitschriften abwich.
Es dauerte nicht lange, bis sie dem Kochen völlig verfallen war. Einen Haken aber hatte die Sache: Je besser sie kochte, desto mehr fiel ihr auf, dass Denis ihren Gerichten mit größerer Leidenschaft begegnete als ihr selbst. Die sexuelle Seite ihrer Beziehung war längst im Sande verlaufen, als Lizzie nach Maurice’ Pipers Tod nach Hause zurückkehren und sich um Angela kümmern musste. Doch in den darauf folgenden Jahren lud Denis sich regelmäßig bei Lizzie zum Essen ein, wo immer sie gerade wohnte, bis er nach Kalifornien zog.
»Du solltest ein
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