Blankes Entsetzen
›würde ihr gut tun‹ deutet doch darauf hin, dass sie … nun, irgendwie nicht gut drauf war«, fuhr Keenan fort.
Tony zuckte die Achseln. »PMS. Jetzt erinnere ich mich, dass sie ›PMS‹ gesagt hat. Sie war ein bisschen angespannt und sagte, sie bekäme ihre Tage.«
»Litt sie immer sehr darunter?«
»Nicht allzu schlimm.«
»Bei meiner Frau ist es immer ziemlich heftig«, sagte der ältere Mann vertraulich und verzog das Gesicht. »Ich liebe sie, aber sie kann mich zum Wahnsinn treiben.«
»Joanne war nicht so schlimm«, sagte Tony.
»Also war Ihre Frau nicht aufgebracht, bevor Sie an diesem Morgen zur Arbeit gingen?«
»Sie war überhaupt nicht aufgebracht. Ich sagte doch, es ging ihr gut.«
»Aber Sie sagten, sie hatte PMS.«
» Sie sagte, sie hätte PMS.«
»Warum sollte sie so etwas sagen, wenn es nicht stimmt?«, fragte Keenan.
»Weiß ich nicht«, sagte Tony, der allmählich verzweifelte. »Vielleicht ja, vielleicht nein – wie soll ich das wissen? Ich sage doch nur, sie war überhaupt nicht aufgebracht. Sie hat sich bloß angestellt und erklärt, sie könne nicht weg, weil sie bügeln müsse. Darauf sagte ich zu ihr, es würde ihr gut tun, mal rauszukommen. Ende der Geschichte.«
Keenan sah, dass Tony wieder die Tränen kamen; ein paar kullerten ihm die Wangen hinunter, und eine fing sich in einem Fältchen am Mundwinkel. »Sie hatten also keinen Streit?«
»Streit?«, fragte Tony erschrocken. »Nein, natürlich nicht.«
»Was heißt ›natürlich nicht‹? Es kann doch mal Streit geben.«
»Ja, aber wir hatten uns an diesem Morgen nicht gestritten.«
»Aber manchmal hatten Sie Streit?«
»Natürlich. Wer nicht?«
»Aber nicht an diesem Morgen? Keine bösen Worte?« Keenan wartete nicht auf eine weitere Antwort. »Und Sie wissen nicht, was Joanne bewogen haben könnte, fortzugehen?«
Dieses Mal versuchte Tony gar nicht erst, die Tränen zurückzuhalten; er weinte hemmungslos, stellte sein Glas auf den Boden neben dem Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. »O Gott, Joanne«, schluchzte er.
»Schon gut«, sagte Keenan.
»Es ist nicht gut.« Tony nahm die Hände vom Gesicht. Seine Wangen waren gerötet. »Und ich verstehe nicht, warum Sie hier sitzen und mir diese blöden Fragen stellen, statt den Abschaum zu suchen, der ihr das angetan hat.«
»Es sind eine Menge Leute unterwegs«, versicherte Keenan ihm, »die alle ihr Bestes geben, genau das zu tun, Mr Patston. Und es tut mir aufrichtig Leid, dass ich Ihnen Fragen stellen muss, die Ihnen im Augenblick dumm erscheinen, und wahrscheinlich auch grausam.«
Tony nickte; im Augenblick brachte er kein Wort heraus.
»Aber meine Fragen«, fuhr Keenan fort, »sind ein entscheidender Teil unserer Ermittlungsarbeit. Selbst die winzigsten Details können von ungeheurer Bedeutung sein. Wir müssen wissen, wie Joanne sich fühlte, als Sie sie zuletzt gesehen haben, in welcher Stimmung sie war. Ihr Zustand könnte der Auslöser dafür gewesen sein, dass sie weggegangen ist und wohin sie ging, mit wem sie sich traf und was sie getan hat.« Keenan schwieg kurz. »Wenn sie, sagen wir mal, Kopfschmerzen hatte und keine Tabletten im Haus waren, könnte sie in die Apotheke gegangen sein. Wenn sie gelangweilt oder genervt war, ist sie vielleicht zu einem Friseur gegangen, oder sich ein neues Kleid kaufen.«
»Sie wollte sich mit einer Freundin treffen«, sagte Tony müde. »Die Freundin, die sie angerufen hat.« Er seufzte, hob sein Glas und trank noch einen Schluck Brandy.
Die Tür ging auf, und Karen Dean steckte den Kopf ins Zimmer.
»Verzeihung, Sir«, sagte sie. »Ein Anruf für Sie.«
Keenan stand auf. »Entschuldigen Sie mich bitte.«
Tony nickte, lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen.
Keenan ging hinaus in den Flur.
»Mrs Patstons Auto wurde auf dem Hall-Lane-Parkplatz gefunden«, informierte Dean ihn leise. »Das ist der Einkaufsparkplatz neben Sainsbury’s in Chingford.«
»In der Nähe der Bibliothek?«
»Praktisch gegenüber«, sagte Dean. »Auf den ersten Blick ist nichts in oder beim Auto, Sir. Und auch die Suche nach Fingerabdrücken und der Tatwaffe hat bisher nichts ergeben.«
Keenan nickte und wollte sich schon abwenden, hielt dann aber inne. »Ich möchte Sie bitten, in diesem Fall als Verbindungsglied zur Familie zu fungieren, Karen.«
»Ich würde gern weiterhin an den Ermittlungen teilnehmen, Sir …«
Keenan nickte wieder. »Wir werden einen uniformierten Beamten bitten, in der Nähe
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