Blanks Zufall: Roman
und das teilt er sonst mit niemandem.
„Dann bis nachher, Blank“, verabschiedet Jenny sich. Marcus trinkt seinen Kaffee, der wieder kalt ist.
Die Zahl der Münze, die er herbei wünschte, steht für seinen Auftritt, nicht für das Reinfeiern heute Abend, nicht für Jenny, oder für Anna, ob er sie nachher wiedersehen wird. Die Zahl steht nur für seinen Auftritt.
Marcus spürt zum ersten Mal seit Jahren wieder diese Euphorie, ungefiltert, pur und erwacht. Marcus möchte heute zaubern, weil sie die Taubheit verjagen wird. Darum sollte es die Zahl sein und nicht Kopf. Geschummelt oder eigentlich schon entschieden, Marcus ist es gleich und er freut sich auf nachher.
Seit Wochen schon bereitet er seine Tricks vor, neue und alte gleichermaßen. Immer dann, wenn er nüchtern war und ohne Anna, meistens am Tage, vor den Seminaren an der Uni oder vor seiner Arbeit, nach dem Frühstück und dem ersten Kaffee, wenn sein Gehirn wieder zugriffsbereit war, wenn keine Watte alles eindrückte. Diese Zeiten waren seltener, aber es gab sie. Und er nutzte sie.
Immer dann probte Marcus, nicht nur um sich auf heute Abend vorzubereiten, weiß er jetzt, sondern auch, um wieder in die Stimmung zu kommen, den Mentalisten in sich zu spüren, den er verloren glaubte, den Sinn, für den er Leben wollte. So kommt er zu dem Schluss, dass nicht jede Stunde vergeudet war, verloren wie sein zwölftes Lebensjahr. Aber die Zeit mit Anna ist es, das Anhimmeln und das Wissen, sie ist genauso wie er, verging in der Zeit ihrer Beziehung. Jetzt erinnert er kaum, wie er sich damals fühlte, als er sie ansprach und seine Sachen neben den ihren auskippte, er weiß nicht einmal mehr, über welches Buch sie damals sprachen. Und es ist kaum zehn Monate her.
Heute wird Marcus den Schleier lüften, den Nebel verpusten und die Watte vergessen. Heute beginnt sein neues Lebens, das, was auf ihn all die Jahre wartete. Wieder fühlt er sich wie ein Kind, besessen von einer fixen Idee. Aber auch das fühlt sich gut an, wie das Weglaufen vor Anna.
ANDERS ALS EIN Zauberer sollte ein Mentalist zu Beginn einer Vorstellung oder vor einem Trick niemals die traditionellen, magischen Gesten vorführen (die Ärmel hochrollen oder die Hände zeigen, dass sie leer sind). Es ist lächerlich und manchmal ruiniert es sogar die Show. Marcus trägt an diesem Abend wieder seinen Kapuzenpullover und eine schwarze Jeans, die ihm zu lang und zu weit ist (Baggy wird dieser Stil genannt). Jede Tasche seiner Kleidung beherbergt mindestens ein Utensil, das er heute Abend gebrauchen wird, aber von den meisten wissen die Zuschauer im Raum nicht (nicht einmal Frank, mit dem er früher seine Tricks probte).
Anna ist auch erschienen, zusammen mit Kerstin, damit sie nicht allein sein muss, denn das befürchtet sie wohl, und Marcus hat sie, bis auf eine flüchtige Begrüßung, ignoriert. Er wusste gar nicht, was er mit ihr besprechen sollte. Wenn es aus ist, fehlen Worte. Und die Küsse fehlen ihm, ihre warmen, feuchten Lippen auf seinen.
Auf sie hat er kurz gestarrt und er hofft, dass es Anna nicht auffiel, im Halbdunkel der Bar. Er hat sie nicht einmal umarmt, nur „Hallo“ gesagt und mit Kerstin mehr Worte gewechselt. Ist er jetzt ein typischer Ex-Freund, der so tun möchte, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen? Zumindest verhält sich Kerstin, als wär nichts vorgefallen, und Marcus denkt, sie versteht seinen Entschluss. Warum sonst sollte sie ihn behandeln wie zuvor? Ihr scheint kein Spruch auf den Lippen zu liegen, die beste Freundinnen den Ex-Freunden sonst entgegen bringen. Kerstin bleibt friedlich und in ihren Augen liegt diese freudige Anspannung für seine Show.
Anna sitzt nun mit ihr in einer Sofa-Ecke am Fenster des 'Raschinskis', wie Jennys Bar heißt, und kann nicht viel von seiner Show sehen. Links neben dem Eingang, und damit der Sofa-Ecke gegenüber, steht ein DJ-Pult, das noch unbesetzt ist. Eine Bühne gibt es nicht, nur eine Tanzfläche, die gerade groß genug ist, um zwanzig bis dreißig Menschen einen Halbkreis bilden zu lassen. Dort haben sich die anderen Zuschauer jetzt stehend vor Marcus versammelt. Viele müssen in der zweiten oder dritten Reihe dafür stehen. Noch bilden diese Menschen kein Publikum, stehen in Grüppchen zueinander gewendet, aber wenn es so weit ist, werden sie alle ihre Gesichter nach vorne wenden und zu Marcus starren.
Jenny steht hinter ihrem Tresen und bedient eifrig, ihr blonder Haarschopf tanzt, wenn sie sich bewegt. Wie
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