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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Sidjani
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wird davon ausgegangen, dass er nach seiner Tat das Kostüm auszog und so unerkannt entwischen konnte. Allerdings konnte auch das Kostüm bisher nicht gefunden werden. Der Täter ist auf freiem Fuß und die Angst geht in Hamburg um.
    Heute Abend und in den folgenden Nächten wird der Polizeieinsatz auf den Straßen verstärkt und es wird davon abgeraten, sich nach Mitternacht noch draußen und unterwegs zu befinden. Bis nicht geklärt werden konnte, was gestern Nacht geschehen ist, besteht die Besorgnis, dass der Irre wieder zuschlägt.“
    Der Rest des Artikels und die ergänzenden Berichte auf den nächsten Seiten berichten von den Vorkommnissen, die Marcus selber kennt. Es kommen Polizisten zu Wort und weitere Augenzeugen, die sich für die Fragen der Journalisten nicht zu schade waren. Auffallend ist, dass keines der Opfer und keiner der Überlebenden zitiert werden. Der Schrecken (ja, Marcus benutzt das Wort 'Schrecken' und er hat es aus der Zeitung und er findet es passend, obwohl es ihn abstößt) zeichnete jeden so stark, dass er nicht bereit ist für ein Gespräch mit den Journalisten. Marcus weiß nicht, wie das bei den Berichten im Fernsehen ist, aber er ahnt, dass auch dort nur die Augenzeugen berichten, kein unmittelbar Beteiligter (zwischen diesen beiden Gruppen, findet Marcus, existiert ein allzu gravierender Unterschied; Augenzeugen sind immer unbeteiligt, Schaulustige im Prinzip, die nicht wegschauen können oder wollen).
    Für einen Moment hat Marcus die irre Idee, eine Selbsthilfegruppe für die Überlebenden zu gründen, in der sie sich gegenseitig unterstützen, um nicht durchzudrehen, um wieder Anschluss zu finden. Sicher ist er, dass irgend ein anderer diese Idee auch in die Tat umsetzen wird.
    Seine Tränen kommen nicht und Marcus steigt in den Bus, nachdem er die Zeitung in einen Mülleimer warf. Als er aus dem Fenster starrt und fühlt..., sich selbst, das Ruckeln des Busses, die Blicke der Fahrgäste, den Verlust, die Angst, all das, möchte er sich bekiffen, nicht nur ein Joint oder zwei rauchen, er möchte eine Bong in der Hand halten und das Dope Kopf um Kopf in seine Lunge ätzen, und irgendwann so zugedröhnt sein, dass er nichts mehr merkt, nicht seinen Körper, nicht sein Gehirn, und dann einfach einschläft.
    Tauber als taub.
    Das denkt er auf dem Weg zu seiner Mutter, die letzten paar hundert Meter bis zu ihrer Haustür, nachdem er ausstieg: Tauber als taub, ich bin tauber als taub, und er zittert, als er seinen rechten Arm zum Klingelbrett ausstreckt, obwohl er einen Schlüssel hat, und mit dem Zeigefinger vor dem Knopf für „Rabe“ zögert, was ihn wieder daran erinnert, dass sie nicht mehr alleine wohnt, seit einem Jahr nicht mehr, und Michael und seine Tochter Laura ebenfalls anwesend sein werden, und Marcus' Oma wird da sein, ganz bestimmt, und es graust ihn und er wünscht, er hätte nicht Geburtstag und er hätte gestern nicht hinein gefeiert, und überhaupt wünscht er, nicht mehr da zu sein.
    Marcus ballt seine rechte Hand zu einer Faust, holt weit aus und schlägt mit all der Kraft, die ihm momentan gegeben ist, gegen die Wand unter dem Klingelbrett. Der Aufprall, das aprupte Stoppen seiner Bewegung löst sich in einem feinen Schmerz auf. Marcus holt erneut aus und schlägt zu, holt aus und schlägt zu, bis er spürt, dass die Haut über seinen Knöcheln aufgeschürft ist. Er leckt sich über die blutigen Stellen, unter denen ein seltener Schmerz pulsiert. Marcus öffnet seine Faust und als die Knochengelenke sich gerade richten, brennt es sich den Arm hinauf, und es tut gut, dieses Brennen. Dann klingelt er bei seiner Mutter.
     
    IHRE BEGRÜßUNG IST befangen, ein stetiges Ausweichen der Blicke trotz ihrer offenen Lächeln. Sie wissen es, alle, auch Laura, die erst zehn Jahre alt ist, aber genug begreift, was um sie vorgeht. Sie sagen nur „Glückwunsch“, kurz angebunden, jeder für sich, seine Mutter, Oma und Laura umarmen ihn und küssen ihm auf die Wange. Michael reicht Marcus die Hand, drückt zu fest zu, wie immer, hat ein mitleidiges Lächeln auf den Lippen. Claudias Blick ist glasig und sie lässt sich widerwillig von ihrem neuen Mann in den Arm nehmen (Marcus kennt diese Geste; immer wenn Claudia sich unwohl fühlt, und die meisten anderen die Nähe von jemandem bedürfen würden, will sie alleine sein).
    Sie stehen im Flur, in Reih' und Glied, denkt er, als Marcus seine Stiefel auszieht, und seine Jacke an die Garderobe hängt. Seine schwarzen Haare

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