Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
St. Petrianer wollten, so wird erzählt, ein Fest zum Dank seiner Rückkehr feiern, doch der junge Mann war dem abgeneigt und überhaupt, so sagt man, sei er ein anderer Mensch geworden; wenig Freude besaß er am Leben, und Sorgen begleiteten ihn zuverlässiger als sein Schatten. [12.2.] Vor allem aber, und es wird berichtet, dies hätten die Bergbarbaren besonders seltsam gefunden, machte er sich, sobald seine Wunden geheilt waren, mindestens einmal in der Woche auf den langen Fußweg ins Tal, informierte sich dort in Zeitungen und im Gespräch über die Vorgänge im Rest der Welt. [12.3.] In den dreißiger Jahren nun, wird überliefert, sei er für sehr lange Zeit auf Wanderschaft gegangen, so daß seine Ehefrau schon befürchtete, er käme gar nicht mehr zurück. Diese Angst, kann ich künden, war jedoch unberechtigt, denn eines Tages, als sie vom Dorfplatz zurückkam, entdeckte sie ihn in der Küche sitzend, vor einem kniehohen braunen Kasten, den er auf den Tisch gestellt hatte – an drei Knöpfen drehte er herum, und aus einem hellbraunen Kreis in der Mitte kamen Geräusche. [12.4.] Die Erzählungen berichten weiter – denn zu diesem Teil der Geschichte der Bergbarbaren gibt es keine schriftlichen Aufzeichnungen –, daß die Frau daraufhin erschrocken auf den Dorfplatz gelaufen sei und allen von dem Gerät erzählt habe. Sofort seien die Bergbarbaren im Haus der Gerlitzens zusammengekommen und hätten diese seltsame Maschinerie bewundert, vollends staunend, als Alfred Gerlitzen es durch das Drehen der Knöpfe geschafft hätte, eine Stimme aus dem braunen Kasten sprechen zu lassen. [12.5.] So also kam das Radio nach St. Peter am Anger, und interessant ist, daß es die einzige Errungenschaft der Zivilisierten ist, die ohne allzu große Verspätung ihren Weg ins Leben der Bergbarbaren fand. Als Grund hierfür will ich das Engagement Alfred Gerlitzens angeben, der nämlich seit seiner Kriegsgefangenschaft in ständiger Angst vor neuer Unruhe lebte und überwachen wollte, welch Sturm sich fernab zusammenbraute.
Stille Post
Am Morgen nach der missglückten Treibjagd, während die vier wichtigsten Männer St. Peters immer noch in einem weißen Jeep am Westhang festsaßen, wackelte Wenzel Rossbrand, der einzige Ministrant der Messe, um kurz nach sechs schlaftrunken zum Gabentisch auf der linken Seite der Apsis, machte einen halbherzigen Knicks vor der Evangeliumskerze und packte sie an jener Wölbung des Ständers, wo sich die wenigsten Lilien und Cherubini in die Handfläche bohrten. Die Kutte war dem kleinen Wenzel zu lang, er wischte den Boden auf, während er über die Marmorfliesen schritt und sich vor dem Pfarrer postierte.
»Lobpreiset den Herrn!«, schallte des Pfarrers Stimme durch die Kirche.
»Und in Ewigkeit, Amen«, antwortete das Dutzend Morgenmessbesucher. Wenzel biss sich auf die Lippe, um nicht zu gähnen. Immer wenn den Betenden die Augen zufielen, schrie der Pfarrer sein Lobpreiset den Herrn! in die Kirche, woraufhin die Messbesucher aufrecht schossen und ihre Augen wieder aufrissen. Nur Wenzel blieb davon unbeeindruckt. Er hatte im letzten halben Jahr so oft ministrieren müssen, dass die Tricks des Pfarrers bei ihm keine Wirkung mehr zeigten. Doch plötzlich gab es einen Rums, der sogar Wenzel erschreckte. Etwas Schweres knallte zu Boden, und im ersten Moment dachte er, der wurmstichige Marienaltar sei zusammengekracht, aber dann drehte er sich zu den Gläubigen und sah: Grete, die treue Pfarrersköchin, war in der ersten Reihe umgekippt und lag wie ein buntes Stück Vorhangstoff ohnmächtig auf dem Boden. Wenzel riss die Augen auf und dachte an die Haushenne Berta, die einst beim Scharren auf dem Misthaufen umgekippt war – woraufhin es panierte Bertabrust gegeben hatte. Wenzel stellte die Evangeliumskerze auf den Boden, der Pfarrer blickte aus seiner Großdruckbibel auf, Wenzel raffte seine Kutte und lief los. So schnell ihn seine kurzen Beine trugen, rannte er aus der Kirche, nicht jedoch, ohne vor dem Hochaltar einen hastigen Knicks zu machen. Die Messbesucher hielten die Luft an, ein erschrockenes Flüstern fuhr durch die drei besetzten Bänke, und das Echo der Tür, die hinter Wenzel ins Schloss fiel, hallte durch das in Bögen angeordnete Gebälk.
Der Pfarrer legte das goldene, siebenreihig gewebte Lesebändchen ein, verneigte sich vor dem Evangelium, bekreuzigte sich, trat hinter dem Altar hervor und kniete sich vor Grete nieder. Er legte seine papierene
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