Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam: Roman (German Edition)
Kloster und Stadt hüllte sich bereits in ihr gelbes Kleid, und am Vortag vom Regen abgetrennte Kastanien säumten den Kies neben dem Weg. Auch Johannes spürte den Herbst und verschränkte die Arme vor seiner Brust, während er im Prälatenhof vor der Nike von Samothrake stand und gedankenlos ihre Schönheit bewunderte. Es war das letzte Mal, dass er die Siegesgöttin bewundern würde, und obwohl er ihr Geheimnis kannte, staunte er noch immer, dass sie trotz ihrer gewaltigen Schwingen stehen konnte. Johannes war so sehr in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, wie Pater Jeremias herankam und sich neben ihn stellte. Der Pater räusperte sich, seit dem Kälteeinbruch war seine Lunge wieder belegt, und Johannes sah zu ihm hinüber.
»Na, ist doch alles noch gut ausgegangen, mein Junge«, sagte der alte Pater, klopfte mit seinem Stock gegen den Sockel der Statue und drehte sich um. Johannes lächelte und streichelte mit den Fingern über das in Klarsichtfolie verpackte, vorsichtig zusammengerollte Maturazeugnis, das er in der Innentasche seines Sakkos verstaut hatte.
Mitzi Ammermann und der Subprior sahen von der Terrasse über der Pforte aus Johannes nach, bis er am Ende der Kastanienallee angekommen war und in den Straßen der Kleinstadt Lenk verschwand. Mitzi Ammermann ärgerte sich grün und blau. Sie hatte emsig die Berichterstattung zu den Vorgängen oben im kleinen Bergdorf verfolgt und betrachtete es als die größte Ungerechtigkeit ihrer Klosterputzfrauenlaufbahn, dass der Schüler, den sie acht Jahre lang für den uninteressantesten gehalten hatte, ausgerechnet in jenem Moment, als er sich als der außergewöhnlichste von allen entpuppte, die Klosterschule verließ.
»Wieso haben Sie mir nie früher von dem Bub erzählt?«, klagte sie den Subprior an, doch der beachtete sie nicht, kämpfte mit den Tränen, zückte seinen Universalschlüsselbund und winkte Johannes damit hinterher.
In einem kleinen Blumenladen auf dem Weg zum Krankenhaus kaufte Johannes weiße Lilien, aber in Marias Zimmer waren so viele Blumen, Geschenkkörbe und Luftballons, dass Peppi und er den Strauß in die verschiedenen Vasen verteilen mussten. Das ganze Dorf hatte Geschenke geschickt. Peppi erzählte schließlich von der Geburt, die ein solches Wunder gewesen sein musste, dass der Gynäkologe beim ersten Schrei des dritten Kindes die Schwester nach einem doppelten Schnaps geschickt und angekündigt hatte, der Kirche wieder beizutreten. Noch nie hatte er eine Drillingsgeburt erlebt, und auch nicht damit gerechnet, nachdem die Gemeindeärztin in Marias Krankenakte nur von Zwillingen gesprochen hatte. Insgeheim musste Johannes über diese Wendung lachen, denn nun hatte er endlich den Beweis dafür, dass sie tatsächlich eine schlechte Ärztin war und Doktor Opa der einzige richtige Doktor, den das Dorf je gehabt hatte.
»Und wie wollt ihr das jetzt machen?«, fragte er schließlich und hatte Angst, diese Frage sei ungehörig. Wider Erwarten antworteten die beiden ziemlich gelassen und zuversichtlich.
»Weißt, Johannes, da Vorteil vo so am klanen Dorf wie St. Peter is, olle halten zam. Wir sand jo net alleinig mit den Butzerln, wir ham 494 Leut rund um uns, de alle g’sagt ham, sie werdn uns helfn. Was kann da nu schiefgehn!«, sagte Peppi optimistisch, und Johannes ahnte, dass er recht hatte.
»Und wos wir di nu fragn wolltn, Johannes«, sagte Maria schließlich vorsichtig, »wir wissn, in der nächsten Zeit kummt vül auf di zu, und du wirst ja in’d Stadt gehn, owa tätst du uns trotzdem Taufpate werdn?«
Johannes schluckte.
»Es is halt so«, setzte Peppi hinzu, »du bist da g’scheiteste Mensch, den wir kennen. Und wir waradn froh, wenn du di a bisserl um de Butzerln umschaun könntest, sodass de a was vo da Welt seh’n und was lernen und so.« Johannes war zu Tränen gerührt, dass ihm jemand die geisteswissenschaftliche Fürsorge für andere Menschen anvertrauen wollte.
Bevor Johannes zurück nach St. Peter fuhr, besuchte er noch das Säuglingszimmer, um einen Blick auf seine Patenkinder zu werfen. Es fiel ihm nicht schwer, sie unter den vielen Säuglingen zu erkennen: In der vorletzten Reihe schlummerten zwei Buben und ein Mädchen in FC – St.-Pauli-Strampelanzügen. Johannes beugte sich über die Wiegenkörbe und sah wunderschöne Kinder, mit kleinen zierlichen Stupsnasen und feinen Zügen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass diese Pflicker-Gene in sich hatten. Im Übrigen, so erinnerte er sich
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