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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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und massieren mich – auch schon mal nach »original« Bangkok-Manier. Aber soll das alles gewesen sein? Pff! Na, ich weiß ja nicht! In Wirklichkeit ist es hier nämlich total – kacke. Keine Kultur, kein Benimm, keine Bundesliga. Wie schrieb Mao: »Wenn ich die Wahl gehabt hätte – immer Offenbach.«

UNTER DEN KUNTERBUNTHUSTERN
    Ich schreibe die Angelegenheiten, die in diesem Dokument abgehandelt werden sollen, nieder, denn das nächste Unglück nähert sich geschwind – fern bleibe uns das Schlimmste, und möge mich der Geist unsäglichen Siechtums nicht abermals als Bruder betrachten – und auch weil es solche Angelegenheiten gewiss nie wieder geben wird. Es ist nur recht und billig, dass Zeugnis abgelegt werde von den Zerwürfnissen und Zerstreuungen jener Tage, in denen mein missratener Schädel geöffnet und ausgesaugt wurde, bis kein Gramm des polypiös festgefahrenen Nasenschleims mehr in ihm war, welcher mich aus der ach so glücklichen Gemeinschaft der Rüstigen hinein in die Höhle der zutiefst Bresthaften katapultiert hatte – jener Höhle, deren vornehmste Aufgabe es ist, die elendesten Bewohner unserer unvollkommenen Welt zu bündeln, zu knechten und zu quälen.
    Am Morgen meiner Einlieferung ging der Wind von Norden, ein ekelhaft stürmischer Regen pflückte die Knöpfe meines löchrigen Hemdes wie reife Beeren, und von meinem geschundenen Kopf floss das Wasser in Strömen auf Beinkleid und Schuhe. Indem sie ihre Arbeit weitgehend einstellten, zollten meine Augen dem Wolkenbruch Respekt, und blind wie ein neugeborenes Schwein kroch ich durch ein Meer von Pfützen, Bächen und Strömen, bis ich, durchnässt und aufgeweicht, an die Pforte des Hospitals gespült wurde. Ich schwamm mehr, als ich ging, die Treppen zur AUFNAHME HNO hinauf, und als meine Sehkraft zurückkehrte, fand ich mich inmitten einer Ansammlung der ungesundesten Persönlichkeiten. Blutete hier ein Ohr so kraftvoll, dass seine nähere Umgebung einschließlich Mantel, Stuhl und Boden rot aufleuchtete, so klaffte dort jene Lücke zwischen Unterkinn und Schlüsselbein, wie sie regulär vom Kehlkopf ausgefüllt wird, und vielerorts war man bestrebt, die Flüssigkeiten eines ganzen Körpers durch Mund und Nase zu pressen, in kleine Tücher zu verpacken und in den Hosentaschen zu verwahren. Wer irgend über ein Stimmband verfügte, schrie seine Klage über Unbill und Schwere des Daseins, wer nicht, röchelte desgleichen, und eine Zeitlang hatte ich nicht den Eindruck, dass dieser Ort zu meiner Lust und Seligkeit bestimmt sei. Bei dem Versuch, mein baldiges Entkommen einzuleiten, wurde ich aber von einer weiß gewandeten Frau am Arm gepackt.

    Guten Morgen, junger Mann, sagte sie freundlich, Sie sind gewiss die uns für heute angesagte Nasennebenhöhle. Nehmen Sie Ihren Koffer und folgen Sie mir; ich bringe Sie auf Ihr Zimmer.
    Ich habe, antwortete ich, in der Tat seit einem Jahr nicht mehr gerochen und glaube nicht, dass mein Jammer in diesem Haus sein Ende finden wird. Doch ist meine Flucht verhindert und mein Schicksal entschieden. Gehen wir!
    Nach diesen Worten bereisten wir gemeinsam mehrere Flure und Gänge, nicht ohne Aberhunderten von Wesen zu begegnen, deren Geist dem rettenden Himmel um Meilen näher stand als ihrem Körper; dann hatten wir unser Ziel erreicht: das Zimmer 214. Die Frau öffnete die Tür, und heraus trat ein Geruch, der sich seinen Weg durch ungezählte Zysten und Polypen bis hinein in mein Gehirnzentrum zu bahnen wusste und der so unbeschreiblich war, dass ich jedweder Kraft erlaubte, meine Knie zu verlassen.
    Ich verstehe, sagte ich, gewiss nicht viel von dieser Welt, und möge Gott uns alle schützen. Aber ist es nicht die Wahrheit, dass es in diesem Raume stinkt und dünstet wie dereinst in der Hölle?
    Dies ist die Wahrheit, so wahr sie unumstößlich ist, antwortete die Frau. Aber alle anderen Betten sind belegt. Gleich kommt das Mittagessen. Herr von Gaelen, hier ist Ihr neuer Zimmergenosse.
    Durch eine Bewegung unterhalb des Fensters wurde ich auf einen schlecht genährten Körper aufmerksam, der das dort stehende Bett besiedelt hielt und mir nun seinen Kopf zuwandte. Damals war ich kaum jünger als heute und hatte schon viel Seltenes gesehen und studiert. Aber die Existenz eines dungfarbenen Gesichtes, in dem zwei rotgrüne Augen völlig unbefestigt hin und wider glitten und stolzierten, war mir neu. Wie verbeulter Maschendraht standen etwa achtzig dicke Haare aus dem Kopf, und obwohl dieser kaum

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