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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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und Fall von Schwindel.
    Ein merkwürdiger kleiner Vorfall geschah an einem Morgen, an dem das Zwielicht der Nacht ums Hospital leuchtete, während Kälte, Wind und Regenschauer auf der Erde heimisch waren und jene Siechen, deren Gebeine in voller Kraft standen, auf den Gängen der Station den Zwölf-Uhr-Nudeln entgegenfieberten. Für uns alle überraschend trat nämlich eine weiße Frau zu uns, und wer gehofft hatte, sie trage bereits Nudeln bei sich, wurde enttäuscht. »Schäfaztwiesitte!«, schrie sie laut zweimal, »Schäfaztwiesitte!«, und in den kommenden Minuten beobachtete ich, wie eine nicht geringe Zahl von Kranken nach und nach umfiel und zum größten Teil mit den Köpfen aufschlug, was den im Hause versammelten Wunden viele neue hinzufügte. Bald war eine Situation hergestellt, in der die meisten Bürger wimmernd oder ohnmächtig auf dem Boden ruhten, und bis heute weiß ich, dass es fünf weiße Männer waren, die sie stießen. Nun standen sie vor mir, und einer schlug seine Faust an meine Brust. Vergessen habe ich zu sagen, dass ich auf dem Balkon nur wenige Stunden vorher eine gut erhaltene Nudel gefunden und verspeist hatte, und so zwang mich der Schlag zwar ins Torkeln, doch verließ die Kraft meine Beine nicht völlig, und ich blieb im Stand. »Sie sind gesund und können nach Hause«, sagte jener, der mich geschlagen hatte, mit großer Bestimmtheit, und so geschah es.
    An jenem Morgen ging der Wind von Norden, ein ekelhaft stürmischer Regen pflückte die Knöpfe meines löchrigen Hemdes wie reife Beeren, und von meinem geschundenen Kopf floss das Wasser in Strömen auf Beinkleid und Schuhe. Doch glaube ich nicht, dass es dergleichen je wieder geben wird.

AUS DEM NOTIZBLOCK IX
    Stations Liebling
    Wenn man wg. Ausschabung der Nasennebenhöhlen in der schönen Aschaffenburger Hofgartenklinik liegt, zwei Zimmergenossen nachts so laut schnarchen, dass man das Zimmer flieht und, nach etlichen Minuten ratlosen Herumstehens auf dem dämmerlichten Flur, sich geheim und mäuschenleise in die leere Intensivstation begibt, dort endlich einschläft und nun gleichfalls lauthals zu schnarchen und zu röcheln beginnt, machen einem die panisch herbeifliegenden Nachtschwestern nicht eben schöne Augen; extrem große aber doch.
    Versuchung
    Leichten Fußes lief er hurtig, seine Schuhe tanzten federnd übern Weg, Höhen nahm er stillen Atems, übersprang froh manchen Ast, tauchte jauchzend flink durchs Grün und wurde schneller. Körperlos, ganz ohne Schwere, flog er durch den Wald, er ward zum Reh. Stunden lief er, Glück umfing ihn, tiefes Gück und kühler Wind, er lief, die vorher braunen Schuhe änderten die Farbe, wurden rot und gelb und weiß und immer schneller, leichter; bald tat sich auf der Blick und Strand lag da, glitzernd, warm und endlos, Möwen kreisten und Delphine, so lief er einen zweiten Tag und dritten, aß nicht, trank nicht, er fühlte keine Müdigkeit.
    Dann diese Mulde im hautglatten Fels; er schmiegte sich hinein und sprach: Ja Scheißdreck, ich muss wieder rauchen. Ich muss mir auf der Stelle was reintun, sprach er, der es kürzlich aufgegeben hatte, ich träume vom Joggen, nu’ leck mich doch fett, wie peinlich.
    Die Verwandlung
    Neulich wachte ich auf, war ein Käfer geworden und dachte: willkommen im Club; aber irgendetwas war anders. Ich lag wie verlangt auf dem Rücken und konnte das Zimmer nicht verlassen, das unwirtlich war wie bei Kafka, nein: unwirtlicher. Fensterlos war es, ungeheizt, Werkzeug hing an den Wänden, Schraubenzieher, deren einst hellbraune Holzgriffe lacklos waren und schwarz, daneben gab es Besen, zwei mohnrote Handfeger, eine Armatur Hämmerchen. Von schmutzigen Regalen, die ich, wie alles, von unten sah, rankten staubschwere Spinnweben sich um blecherne Eimer, um Dosen, und die Tür, breit und hoch wie das Zimmer, war stählern und graugrün wie schmutziges Gras. Ich war ein Käfer geworden, mich fror, ich wollte hinaus und trat bis zum Anschlag durch, doch nichts geschah. Also hoch in den zweiten und dritten Gang, noch einmal Vollgas – nichts. Nur ein leichtes Schaukeln und Wippen, mählich wurde auch die Luft ein bisschen schlecht, ich musste husten, einmal noch sprutzte der Auspuff, dann war ich abgesoffen und schlief wieder ein. Also nichts Epochales im Grunde; nur mein Halter hat denn doch ziemliche Augen gemacht.

WIE G. EINMAL MIT EINEM TABU UMSPRANG
    Von human Orientierten, also Mitleidsfähigen ist bekannt, dass sie diese ihre Gabe umso

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