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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gsella
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Lippen gepresst, und trotz eines steifen Nackens, der auf die fensternahe Lage meines Bettes zurückzuführen war – hätte man es freilich je geschlossen, wären wir an den Zimmerdämpfen unwiederbringlich erstickt –, gelang es mir, meinen Kopf zu schütteln und zu einer Rede anzusetzen.
    Teilen Sie, fragte ich, nicht ebenfalls die Ansicht, dass schon der kleinste Zug an dieser Stange Ihre Seele ermutigen könnte, ohne weiteren Verzug ins andere Leben aufzubrechen?
    Hhhh hh hhhh hh hhh, sagte der Mann lächelnd, hhh hh hhh hh, und nach einer Weile begriff ich seinen Plan: Er hatte drei »Kollegen« eingeladen, kehlkopflose HNO -Patienten wie er selbst, man hatte sich gemeinsam eine sechswöchige Kur verordnen lassen und wollte dies Ereignis schon hier und heute planen wie auch feiern. Bis zum heutigen Tag bin ich mir sicher, dass sich Aspekte des Kommenden so zutrugen, wie ich sie hier wiedergebe, und dass Herr von Gaelen gerade seinen Nachtschrank geöffnet hatte, um weitere Schachteln Gauloises und zehn bis fünfzehn Dosen DAB Export herauszuholen, als die Tür unseres Zimmers unter Dröhnen und Getöse aufschlug und kurz darauf drei Männer um mich waren. Sie schienen zu den denkbar schrankenlosesten Vergnügungen bereit und trugen über ihren Körpern regenbogenbunte Sportanzüge. Über ihr Alter mag ihr Schöpfer Auskunft geben; ihr Äußeres und ihre Gebrechen standen den von Gaelens in nichts nach, und kaum hatten sie das Dosenbier geöffnet, hob eine Unterhaltung an, wie es sie luft- und schleimhaltiger gewiss nie wieder geben wird. Schenk’ mir diese eine Nacht, tun wir, was uns glücklich macht, spielte von Gaelens Radio (es spielte während der gesamten Zeit, die ich in diesem Zimmer verbrachte, und es wird in diesem Zimmer spielen, solange Herr von Gaelen es beherrscht!), und zu diesem Zeitpunkt dachte ich nicht, dass meine Karriere auf dieser Welt noch von allzu langer Dauer sein würde. Eine Einsamkeit wehte mich an; ich war ganz allein unter vier zechenden, rauchenden und spuckenden Lungenrednern, und so schien das Übel endgültig über mich hereingebrochen.

    1700 Euro, hauchte der eine, habe ich bei der letzten Kur versoffen! Jeden Abend in der Stripbar »Tanz der Göttin« …
    Ein Bier kostet da allerdings acht Euro, krächzte kühn ein Kompagnon, und pro Abend gehen locker hundert weg, doch wurde sein Wind von einem Schleimanfall überrascht und abgebrochen, der wahrhaftig das Innerste seiner Existenz nach außen kehrte. Mit der linken Hand goss wiederum der dritte Gast eine Dose DAB in seinen Mund, mit seiner rechten aber steckte er eine Gauloise in die dafür vorgesehene Lungensonde, hielt ein Feuerzeug daran, und kurz darauf sah ich es – bei Gott und den Aposteln! – aus jener Sonde qualmen wie aus entzündetem Heu. Es wird jedoch nie eine Methode geben, alle Wunder dieser Welt hinreichend zu erklären. Sicher aber ist, dass mir dieses Bild mit der Spitzigkeit einer Nadel in die Augen stach, und einige Tage blieb ich stumm vor Schreck.
    Offenkundig ist es so, dass der Tod nicht die erlöst, die vor seiner Tür um Einlass winseln, und drei Tage nach unserem Zimmerfest hatte sich nicht nur von Gaelen von allen Lustbarkeiten erholt, sondern auch ich war unversehens in die Lage gekommen, mich auf meine dünnen Beine zu erheben und auf ihnen herumzulaufen. Eine große Würde war darin verborgen, dass ich das Zimmer 214 nun aus eigener Kraft verlassen konnte und auf den Fluren und Balkonen der HNO -Station eine Art von Sauerstoff vorfand, dessen Ungiftigkeit und Frische mir den allergrößten Mut einflößten. Doch kann ich mich nicht entsinnen, dass je so viele unvollständige Männer und Frauen an einem Ort versammelt waren. Zwischen Wesen, deren Nase einem Konvolut aus Blut und Tuch gewichen war, und ganz etlichen Kehlkopflosen spazierten einohrige Bürger sonder Zahl einher, und die Wände hallten wider von einem Heulen, Triefen und Zerknirschtsein, wie es ihresgleichen gewiss niemals mehr geben wird. Drei Menschen starben an diesem Tag aus Mangel an Stärke; die übrigen wurden zu ihrem Unglück in den Keller des Hauses berufen, wo man sie anhielt, gesalzenes Wasser in die Nase zu saugen. Dort vermengte es sich mit dem, was in diesem Dokument schon mehrmals beschrieben wurde, und stürzte, so man es nicht rechtzeitig ausspie, tief in die Hälse und Mägen hinab. Die Anzahl der gereichten Nudeln war damals immer gering, dennoch galt diese Art der zusätzlichen Ernährung als unbeliebt

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